Ärzte-Präsidentin: Es braucht eine geschlechtersensible Medizin

Ärzte-Präsidentin: Es braucht eine geschlechtersensible Medizin
Christiane Groß über systematische Benachteiligung von Patientinnen
09.09.2024
epd
epd-Gespräch: Stefanie Unbehauen

Wuppertal (epd). Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, beklagt, dass Krankheitssymptome bei Frauen in der Medizin zu oft falsch eingeschätzt werden. „Hauptsächlich hat das damit zu tun, dass Wissenschaft lange Zeit vorwiegend durch Männer vorangetrieben wurde“, sagte Groß dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Auch heute noch sind in vielen Bereichen der Wissenschaft mehr Männer als Frauen zu finden, wodurch oft auch der Blick der weiblichen Seite fehlt.“ Der Ärztinnenbund setzt sich für eine geschlechtersensible Medizin ein.

„Es war üblich, zu denken, was beim Mann erforscht wurde, passt auch zur Frau“, erklärte Groß. „Hormonzyklen wie bei der Frau stören. Schwangerschaften sind Hindernisse.“ Erst seit den 1990er Jahren finde ein Umdenken statt.

Es brauche eine geschlechterspezifischere Medizin, sagte Groß. Sie erkenne inzwischen eine deutliche Verbesserung: „Die jungen Ärztinnen und Ärzte kommen bereits während ihrer Weiterbildungszeit mit dem Thema in Kontakt. Heute wissen viele Menschen, dass es wichtig ist, zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden.“ Die Wuppertaler Fachärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapie und ärztliches Qualitätsmanagement fügte hinzu: „Je mehr es von den Patienten und Patientinnen eingefordert wird, umso schneller wird geschlechtersensible Medizin umgesetzt.“

Die Folgen einer männerzentrierten Medizin könnten für Frauen fatal sein. Ihre Symptome könnten je nach Krankheitsbild stark von denen der Männer abweichen, was späte oder falsche Diagnosen nach sich ziehen kann. So seien etwa bei einem Herzinfarkt die Symptome der Frau „leiser, also nicht so typisch wie die bekannten Herzinfarktsymptome des Mannes“, erklärte Groß. Frauen würden dann von Familienangehörigen nicht, wie beim Herzinfarkt eines Mannes, dazu gedrängt, den Notarzt zu rufen.

„Hinzu kommt, dass Frauen ihrerseits die Symptome falsch einschätzen, weil sie die frauentypischen Variationen der Symptome vielleicht nicht kennen“, sagte Groß. Frauen seien dann oft selbst damit beschäftigt, die Symptome herunterzuspielen und Aufgaben noch zu erledigen. Hier addierten sich also Interpretationsfehler, die Ärztinnen und Ärzte zu der Annahme führen könnten, dass es sich eher um psychische Symptome handeln könnte. Die Folgen könnten tödlich sein: „Für Frauen besteht ein höheres Risiko, den Herzinfarkt nicht ohne Schäden oder sogar gar nicht zu überleben“, warnte die Präsidentin des Ärztinnenbundes.