"Ich glaube, dass das Leben für mich ist"

H´ülya Marquardt in der Modeboutique in Unterweissach
Dennis Marquardt
Hülya Marquardt in der Modeboutique in Unterweissach. Bei allen Herausforderungen ihrer Krankheit hat sie den Humor nie verloren.
Instagram-Star Hülya Marquardt
"Ich glaube, dass das Leben für mich ist"
Hülya Marquardt ist Seminarmanagerin, Influencerin, Ehefrau und Mutter eines vierjährigen Sohnes. Auf Instagram folgen ihr fast 300.000 Menschen. Aufgrund einer Dysmelie-Erkrankung fehlen ihre beide Beine.

Sie berät Frauen in Sachen Mode, versammelt mehr als 292.000 Follower auf Instagram - und hat keine Beine. Hülya Marquardt lebt bei Backnang, sie ist Mutter eines Vierjährigen. Bei allen Herausforderungen ihrer Krankheit hat sie den Humor nie verloren. Düster erscheinen die Zukunftsaussichten, als sie auf die Welt kommt. Voller Sorge blickt ihre Mutter, gerade mal 17 Jahre alt, auf die fehlgebildeten Beinchen ihres ersten Kindes. Vor einem Jahr ist die junge Mutter, die noch kaum Deutsch spricht, aus einem türkischen Dorf an einen charmanten, beinamputierten Mann verheiratet worden, der als Sohn eines Gastarbeiters in Deutschland, im nordrhein-westfälischen Hagen zu Hause ist.

Seine Dysmelie - eine Fehlbildung der Gliedmaßen - hat sich offensichtlich auf das Töchterchen vererbt. Zwei Fingerchen an der rechten Hand, vier an der linken - wie würde Hülya bloß ihr Leben bewältigen? Um zu retten, was zu retten ist, wird das Mädchen bis zum Alter von sechs Jahren etwa zwanzigmal an den Beinen operiert - das erste Mal mit zwei Monaten. Die Kinderstation an der Uniklinik Münster wird zu ihrem zweiten Zuhause. Liebevoll umsorgt von den Krankenschwestern lernt Marquardt zu ihrer türkischen Muttersprache Deutsch.

Den ersten Schulunterricht erlebt sie ebenfalls im Krankenhaus, bis sie ein halbes Jahr verspätet in eine reguläre Grundschule kommt. Ihre Eltern melden sie schließlich in einem religiös geprägten Mädcheninternat in Ankara an, wo sie die 9. Klasse absolviert. Es ist eine gute Zeit, auch wenn dort strenge Regeln herrschen. "Zur Strafe mussten wir manchmal auf einem Bein stehen. Bei mir wurde da ein Auge zugedrückt", schmunzelt Marquardt.

Nach der Scheidung ihrer Eltern lebt Marquardt zunächst mit ihren Schwestern bei der Mutter, zieht dann zum Vater. Doch dieser ist sehr in seine Arbeit eingespannt. Ihre Sehnsucht nach Gemeinschaft und einem anregenden Umfeld wird im Internat der Evangelischen Stiftung Volmarstein in Wetter an der Ruhr gestillt. "Ich hatte viele Freunde aus verschiedenen Kulturen und tolle Lehrer und Ausbilder", erzählt Marquardt.

Mit 18 Jahren entscheidet sie sich für die Amputation

Sie bekommt Hauptrollen in Musicals, treibt Sport, absolviert zahlreiche Praktika - im Kinderheim, in einer Arztpraxis - und schließt nach der Realschule eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation ab. Mit 18 Jahren entscheidet sich Marquardt, die immer wieder mit Schmerzen und Entzündungen kämpft, auf Anraten der Ärzte für die Amputation ihrer Beine. Besonders vor dem Abschied vom zweiten Bein und der damit verbundenen Endgültigkeit hat sie Angst, die sich in Albträumen äußert. Als sie es hinter sich hat, ist es gar nicht so schlimm.

Nach den neun Jahren im Internat lebt die junge Frau selbstständig in einer Wohnung, hat Freude an ihrem Beruf im sozialen Dienst eines Seniorenheims, wo sie zunehmend Verantwortung bekommen hat. So fällt ihr der Umzug in die schwäbische Heimat von Dennis Marquardt nicht leicht. Der Lehrer, den sie ohne Beziehungsabsichten über Facebook kennengelernt hatte, hat sich als das perfekte Gegenüber erwiesen. Die beiden heiraten und ziehen nach Oberweissach (Rems-Murr-Kreis). Später erlebt die Seminarmanagerin in der Handwerkskammer Region Stuttgart eine völlig unkomplizierte Schwangerschaft. Sohn Rangi kommt gesund zur Welt.

Mehr als 292.000 Followern aus aller Welt zeigt Hülya Marquardt, unterstützt von Ehe- und Kameramann Dennis, auf Instagram, dass das Leben schön ist und unzählige Möglichkeiten bietet - auch ohne Beine. In der Modeboutique, die sie in Unterweissach mit ihrer Schwiegermutter betreibt, berät die freundliche Frau auf Beinprothesen Kundinnen. Über den Stuttgarter Schlossplatz fährt sie mit dem Rollstuhl, auf dem Spielplatz oder am Strand zieht sich die Frau mit den trainierten Armen mithilfe von Push-up-Bars, - Griffen, die wie Bügeleisen aussehen - über das unebene Gelände. "Ich habe viel Vertrauen in das Leben und lasse es einfach mal machen", sagt Marquardt. "Viele Erfahrungen haben mich stärker gemacht. Im Nachhinein war es immer so, wie es sein sollte."