Münster (epd). Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung haben sich im Osten Deutschlands die Enttäuschungen nach Einschätzung des Soziologen Detlef Pollack verfestigt. Bei rund 30 Prozent der Bevölkerung habe sich eine grundsätzliche „Anti-Haltung“ und Skepsis gegenüber den etablierten Parteien entwickelt, sagte Pollack laut Mitteilung der Universität Münster in der aktuellen Folge des Uni-Podcasts „Umdenken“. Das werde sich höchstwahrscheinlich in einer hohen Stimmenzahl für die AfD bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg widerspiegeln.
Die Gefühlslage habe sich von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung entkoppelt, sagte Pollack, der auch zur Entwicklung und zum Diskurs in Ostdeutschland forscht. Das Klagen habe sich verselbstständigt und sei zu einem Identitätsmarker vieler ostdeutscher Bürger geworden, erklärte der aus Weimar stammende Wissenschaftler, der seit 2008 an der Universität Münster lehrt und forscht.
Die Erwartung vieler Menschen auf eine schnelle Angleichung an die wirtschaftlichen Verhältnisse in Westdeutschland habe sich nicht erfüllt, zudem fühlten sich viele von ihnen noch immer als Bürger zweiter Klasse, erläuterte der Soziologe. Manche Klagen seien berechtigt, es habe sich jedoch eine weitverbreitete Trotzhaltung ergeben, die nicht immer auf Fakten beruhe.
Nötig ist nach Einschätzung des Soziologen ein „rhetorisches Abrüsten“. So sollte weniger polarisiert und herabgesetzt werden. Zudem müsse die Politik konkrete Lösungen etwa für die Migrations- oder Bildungspolitik erarbeiten. Das gelte besonders für strukturschwache Regionen. Scheinlösungen würden hier nicht weiterhelfen. „Wir brauchen gute Bildung, gute Brücken und eine gut funktionierende Bahn“, unterstrich Pollack.