TV-Tipp: "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin"

Getty Images/iStockphoto/vicnt
17. Juli, RBB, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin"
Heute wird die einst mächtigste Frau der Welt siebzig Jahre alt, aber das wichtigere Datum ist womöglich der 26. November: Für diesen Tag hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch Angela Merkels Memoiren angekündigt.

Die ARD hat ihre eindrucksvolle Karriere schon jetzt mit einer Dokuserie resümiert, wobei der eher an einen "Sisi"-Film ("Schicksalsjahre einer Kaiserin") erinnernde Titelzusatz "Schicksalsjahre einer Kanzlerin" nicht ganz korrekt ist: Das Schicksal ihrer 16jährigen Amtszeit widerfuhr, wenn überhaupt, nicht Merkel, sondern dem Land. Außerdem beschränken sich die fünf Folgen keineswegs nur auf die Jahre im Kanzleramt, denn natürlich beschreibt Tim Evers auch ihren Weg zur Macht; Kindheit und Jugend in der DDR kommen allerdings kürzer weg als in vergleichbaren Dokumentationen.

Davon abgesehen unterscheidet sich die für die Mediathek produzierte Reihe – der RBB zeigt eine neunzigminütige Zusammenfassung – inhaltlich nur unwesentlich von früheren Produktionen, was nicht weiter überrascht; gerade den beiden ausgezeichneten Porträtfilmen von Torsten Körner, "Die Unerwartete" (2016) und "Im Lauf der Zeit" (2022), ist nicht mehr viel hinzuzufügen, zumal sie auf vorbildliche Weise die Wechselwirkungen zwischen der Politikerin und der von ihr geprägten Ära analysierten. Stefan Aust hat ihr Leben 2021 kurz vor dem Ende der Amtszeit in einer gleichfalls fünfteiligen RTL-Reihe detailliert dokumentiert. Das fesselnde ZDF-Dokudrama "Stunden der Entscheidung" (2019) rekonstruierte die Ereignisse vom 4. September 2015, als Merkel die Grenze für die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge aus Syrien offen ließ.

Was also ließe sich über diese Frau noch erzählen, was nicht schon längst bekannt ist? Private Details natürlich, schließlich heißt es regelmäßig, sie zeige sich stets von einer ganz anderen Seite, wenn sie sich in vertrauter Runde weiß. Das bleibt auch diesmal Hörensagen, denn "vertraut" heißt: Kameras und Mikrofone sind ausgeschaltet. Dass Evers’ Reihe dennoch sehenswert ist, liegt vor allem an den Innen- und Außenansichten, die zusammengetragen hat. Gerade Thomas de Mazière, von 2005 bis 2009 als Chef des Kanzleramts im Zentrum der Macht, sowie Annegret Kramp-Karrenbauer, eine der wichtigsten Weggefährtinnen Merkels, steuern spannende Einblicke bei. Sehr aufschlussreich sind auch die Aussagen Roland Kochs, einem der führenden Köpfe jenes Zirkels, der Merkels rasante Karriere mit einer Mischung aus Argwohn und Missgunst verfolgte. Die ausschließlich männlichen Mitglieder des sogenannten Andenpakts, zu dem später auch Friedrich Merz gehörte, hielten die erste Frau an der Spitze der CDU für eine Übergangspersonalie; ein historischer Irrtum. 

Evers will mit seiner Doku-Serie ausdrücklich auch ein jüngeres Publikum erreichen; die Mitglieder der "Generation Z" kannten bis 2021 keine andere Kanzlerin als Merkel. Repräsentiert werden sie allerdings von Mitte der Achtziger geborenen "Millennials" wie der ehemaligen "Piraten"-Geschäftsführerin Marine Weisband oder der Autorin und Podcasterin Samira El Ouassil, die Merkels Politikstil als "Mittendrin, aber nie dabei" bezeichnet: weil sie stets über den Dingen geschwebt sei. Die Beiträge des Duos bescheren den insgesamt rund 160 Minuten eine sehenswerte Multiperspektivität. Vermutlich denkt das Redaktionsquintett von RBB, MDR und SWR, das von Evers ausdrücklich weder Hommage noch Verriss, sondern eine kritische Würdigung wollte, vor allem an diese beiden, als es die Formulierung "ungewöhnliche Sichtachsen" kreierte. Die Machart entspricht jedoch größtenteils den gewohnten Fernsehkonventionen. Daran ändern weder die gelegentlichen Bilderkaskaden noch die Spielereien mit dem oftmals vielfach geteilten Bildschirm oder die eingespielten zeitgenössischen Popsongs etwas. 

Eine Leerstelle bildet dagegen ausgerechnet die Titelfigur. "Wer ist Angela Merkel?", heißt es zu Beginn im Kommentar; eine Frage, an der sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen haben. Evers lässt sie in vielen TV-Ausschnitten zu Wort kommen, aber zu fassen kriegt er sie nicht. Merkel galt als Meisterin des Pragmatismus, radikale Kehrtwendungen inklusive, wie Evers verdeutlicht, wenn er die Bilder nach der Verkündung des Ausstiegs aus der Kernenergie (2011) kurzerhand rückwärts laufen lässt. Macht um der Macht willen, heißt es, habe sie nicht interessiert, aber warum sie im Moderationsstil eher verwaltete als gestaltete und welche Ziele ihr vorschwebten, bleibt offen; diese Frage müssen die Memoiren beantworten. Koch kommentiert schlicht: "Politik ist eine Droge."