Wien (epd). Jüdinnen und Juden in der EU sehen sich einer Umfrage zufolge zunehmend Diskriminierung und Hassverbrechen ausgesetzt. EU-weit waren 80 Prozent der Befragten der Auffassung, dass Antisemitismus in den vergangenen fünf Jahren zugenommen hat, wie die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) am Donnerstag in Wien mitteilte. In Deutschland lag dieser Wert unter den erfassten Ländern am höchsten. Hier gaben 86 Prozent der Befragten an, dass Antisemitismus in den vergangenen fünf Jahren zugenommen habe.
Die Hälfte der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden (51 Prozent) hat daher laut dem Bericht in den vergangenen fünf Jahren in Erwägung gezogen, das Land zu verlassen. Im EU-Durchschnitt zogen 45 Prozent der Befragten diesen Schritt in Betracht. In Deutschland waren außerdem nur 16 Prozent der Meinung, dass die Regierung Antisemitismus wirksam bekämpfe. Der EU-Durchschnitt lag hier bei 18 Prozent.
Sowohl in Deutschland als auch in der gesamten EU gaben 96 Prozent der Befragten an, 2022 in ihrem Alltag mit Antisemitismus konfrontiert gewesen zu sein. 66 Prozent der Befragten in Deutschland gaben an, im Internet „ständig“ Antisemitismus zu begegnen. EU-weit lag der Durchschnitt in der Umfrage leicht darunter bei 61 Prozent. Den meisten begegnete Antisemitismus online auf Facebook (25 Prozent).
Von antisemitischen Vorfällen im öffentlichen Raum berichteten EU-weit 56 Prozent, 37 Prozent wurden demnach belästigt, oft auch mehrfach. Für Deutschland nennt der Bericht keine gesonderten Zahlen. Antisemitische Übergriffe fanden demnach meist auf Straßen, in Parks oder Geschäften statt.
Die Sicherheitsbedenken in der jüdischen Gemeinschaft sind laut der Umfrage groß: EU-weit sorgten sich 53 Prozent um ihre eigene Sicherheit, in Deutschland waren es 59 Prozent. EU-weit verbergen aus Sicherheitsgründen 76 Prozent ihre jüdische Identität gelegentlich. Bei den in Deutschland befragten Personen gaben 80 Prozent an, das Tragen jüdischer Symbole in der Öffentlichkeit zumindest gelegentlich zu vermeiden. 59 Prozent der in Deutschland befragten Jüdinnen und Juden tragen demnach aus Sicherheitsbedenken nie jüdische Symbole. EU-weit waren es 48 Prozent.
In Deutschland meiden zudem 31 Prozent jüdische Veranstaltungen und 41 Prozent bestimmte Orte, weil sie sich als Juden nicht sicher fühlen. Die Durchschnittswerte der Umfrage lagen hier bei 34 Prozent und 40 Prozent.
Die Befragung wurde vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem eskalierenden Konflikt im Gazastreifen durchgeführt. Der Bericht der EU-Agentur beinhaltet aber auch aktuelle Informationen von zwölf jüdischen Organisationen. Demnach haben antisemitische Vorfälle seit Oktober 2023 stark zugenommen, einige Organisationen gaben eine Vervierfachung der Vorfälle seither an.
57 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage erklärten, dass der Nahost-Konflikt Auswirkungen auf ihr Sicherheitsgefühl habe. Der deutschlandweite Durchschnitt lag bei 62 Prozent. 80 Prozent der Jüdinnen und Juden in Deutschland haben laut Umfrage das Gefühl, dass sie zumindest gelegentlich für die Handlungen der israelischen Regierung verantwortlich gemacht werden. Der Durchschnitt der Umfrage lag bei 75 Prozent.
Den Angaben zufolge nahmen 8.000 Jüdinnen und Juden über 16 Jahren von Januar bis Juni 2023 an der Online-Umfrage teil. In Deutschland beteiligten sich 892 Personen. Die jüdische Bevölkerung in der Bundesrepublik schätzt die Grundrechte-Agentur auf 171.500 Menschen.
Es ist die dritte Umfrage dieser Art nach 2013 und 2018. Befragt wurden Jüdinnen und Juden in Deutschland, Österreich, Belgien, Tschechien, Dänemark, Frankreich, Ungarn, Italien, Niederlande, Polen, Rumänien, Spanien und Schweden. In diesen Ländern leben laut Bericht etwa 96 Prozent der jüdischen Bevölkerung in der EU.