München (epd). Die deutsche Mittelschicht solidarisiert sich nach Ansicht des Armutsforschers Christoph Butterwegge lieber mit reichen als armen Menschen. Es sei die „große Lebenslüge“ der Mitte, sich für vermögender zu halten, als man ist, sagte Butterwegge der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag).
Der Politikwissenschaftler führte aus: „In der Mitte möchte man glauben, vor Armut gefeit zu sein, weil angeblich nur Faule sozial absteigen.“ Deswegen stimme man Forderungen zu, die Regelungen für den Bezug von Bürgergeld zu verschärfen. „Wer die Armen herabwürdigt, will sich damit oft selbst erhöhen“, sagte Butterwegge und fügte hinzu: „Vielleicht verschärft sich das noch dadurch, dass Abstiegsängste längst auch in der Mittelschicht um sich greifen: Man tritt umso mehr nach unten, je stärker man den eigenen Status gefährdet sieht.“ Dabei suggeriere man sich, aufgrund seines eigenen Fleißes „auch zu denen ganz oben aufschließen“ zu können.
Der ehemalige Kölner Universitätsprofessor sagte, in Deutschland wolle kaum jemand politisch dezidiert links oder rechts eingeordnet werden. „Es mag mit historischen Erfahrungen zu tun haben, dass man vor allem zurückschreckt, was radikal erscheint“, sagte er.
Radikal zu sein heiße aber nur, dass man ein Problem an der Wurzel packt, auf Latein: radix. „Radikalität ist bei uns verschrien, was es für Linke schwer macht, Menschen für sich und ihre Anliegen zu gewinnen - obwohl die allermeisten von einer Rückverteilung des Reichtums an jene, die ihn geschaffen haben, profitieren würden“, sagte Butterwege, der 2017 für die Linkspartei als Kandidat bei der Wahl zum Bundespräsidenten angetreten war.