In der Pflege fehlen Milliarden

In der Pflege fehlen Milliarden
Von allen Seiten wird der Regierung vorgeworfen, die Lösung der Probleme in der Pflege weiter zu verschleppen. Der Regierungsbericht zur Finanzierung der Pflegeversicherung sei lediglich eine weitere Bestandsaufnahme, kritisieren Verbände.

Berlin (epd). Ohne Reformen steht die Pflegeversicherung vor großen Finanzproblemen. Das geht aus dem Regierungsbericht über eine zukunftssichere Finanzierung der Pflegeversicherung hervor, mit dem sich das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin befasst hat. In dem Bericht werden auch Reformvorschläge durchgerechnet, ohne dass sich die Ampel-Koalition auf Maßnahmen und Zeitpläne festlegt. Das sorgt für breite Kritik.

Der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegte Bericht wurde von Experten, mehreren Bundesministerien und Vertretern der Bundesländer erstellt und befasst sich mit der Zeitspanne bis 2060. Die Finanzierungslücke bis 2060 beziffert der Bericht mit 0,5 bis 2,6 Beitragssatzpunkten, je nach Szenario. Sofern der heutige Umfang der Leistungen beibehalten und an die künftigen Preise angepasst würde, läge die Beitragssteigerung im Mittel bei 1,4 Beitragssatzpunkten. Das entspricht nach heutigen Werten einer Finanzlücke von 24 Milliarden Euro im Jahr, die durch die höheren Beiträge geschlossen werden müsste. Der Beitrag läge dann bei 4,6 Prozent des Bruttoeinkommens.

Von den Arbeitgebern bis hin zu den Sozialverbänden zeigten sich alle Beteiligten unzufrieden und drängten auf Sofortmaßnahmen. Die Versorgung von Millionen pflegebedürftiger Menschen sei bereits jetzt massiv gefährdet, erklärte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die Dachorganisation der sechs größten Wohlfahrtsverbände. Die Diakonie Deutschland kritisierte, Problemanalysen gebe es genug. Vorstandsmitglied Maria Loheide erklärte, kurzfristig ließen sich Finanzlücken schließen, wenn die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen und die 4,5 Milliarden Euro Vorleistung der Pflegeversicherung aus der Corona-Zeit aus Steuermitteln finanziert würden. Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, rief die Bundesregierung in den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Mittwoch) dazu auf, Wohlhabende stärker zu belasten.

Die Pflegeversicherung rechnet für dieses Jahr mit einem Minus von 1,5 Milliarden Euro, im kommenden Jahr mit einem Defizit von 3,4 Milliarden Euro. Die Vorstände der Techniker Krankenkasse und die AOK kritisierten, der Regierungsbericht enthalte keinen konkreten Reformvorschlag.

Arbeitgeberverbände aus der Gesamtwirtschaft und der Pflegebranche warfen der Bundesregierung vor, die Entscheidung über eine Finanzreform der Pflegeversicherung auf die nächste Legislaturperiode zu vertagen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssten sich deshalb auf weiter steigende Beiträge gefasst machen, erklärten die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, der Verband der Privaten Krankenversicherung und Pflege-Arbeitgeberverbände. Die Arbeitgeberseite setzt sich für eine ergänzende, private Vorsorge ein, über die die Menschen ihr Pflegerisiko besser absichern sollen.

Im Gegensatz dazu forderte der Sozialverband VdK eine Pflege-Bürgerversicherung, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen, um die Pflegeversicherung finanziell breiter aufzustellen. VdK-Präsidentin Verena Bentele erklärte, drei Viertel der Bevölkerung unterstützten diese Forderung und verwies dazu auf eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Verbandes.

Pflegeleistungen werden aus Beitragseinnahmen, Eigenanteilen der Pflegebedürftigen und Zuschüssen der Bundesländer finanziert. Dem Regierungsbericht zufolge lagen die Beiträge voriges Jahr bei mehr als 58 Milliarden Euro, Länder und Kommunen zahlten weitere 6,6 Milliarden Euro. Die Eigenanteile aller Heimbewohner, die nur rund 20 Prozent der Pflegebedürftigen ausmachen, betrugen knapp 22 Milliarden Euro. Insgesamt lebten Ende 2023 rund 5,2 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland. Ihre Zahl steigt rasch, im vorigen Jahr um 360.000 Personen.