Steinmeier appelliert an "Kraft und Solidarität der Mehrheit"

Steinmeier appelliert an "Kraft und Solidarität der Mehrheit"
20. Jahrestag des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße
Mit einem interkulturellen Fest ist in Köln an den Nagelbombenanschlag vor 20 Jahren erinnert worden. Bundespräsident Steinmeier würdigte die Opferfamilien. Ihnen sei lange zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.

Köln (epd). 20 Jahre nach dem ausländerfeindlichen Nagelbombenanschlag der NSU in der Kölner Keupstraße haben am Sonntag Tausende Menschen mit einem Kultur- und Begegnungsfest am Ort des Attentats ein Zeichen gegen Rassismus gesetzt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief zum couragierten Einsatz für Demokratie und eine offene Gesellschaft auf. Es komme darauf an, dort „Stopp!“ zu sagen, wo jemand anderes Menschen erniedrige, sagte Steinmeier. „Die Demokratie fragt nicht danach, aus welcher Richtung der Extremismus kommt, der ihr ans Leder will! Die Demokratie fragt nach der Kraft und der Solidarität der Mehrheit, die sie verteidigt!“

Das Fest stand unter dem Motto „Birlikte“, türkisch für „Zusammenstehen“. Auf mehreren Bühnen rund um die Keupstraße sollten bis zum späten Abend bekannte Bands wie Bläck Fööss, der Rapper Eko Fresh und die Comedian Carolin Kebekus auftreten. Das Schauspiel Köln und verschiedene Kinos boten eigene Programme an. Eine Ausstellung informierte zudem über die Planungen für ein Mahnmal zum Gedenken an den NSU-Anschlag.

In der migrantisch geprägten Keupstraße im Kölner Stadtteil Mülheim war am 9. Juni 2004 eine mit Nägeln gespickte Bombe explodiert. 22 Menschen wurden bei dem Anschlag zum Teil schwer verletzt. Die Ermittler hatten die Täter zunächst in der türkischen Gemeinschaft vermutet. Erst 2011 wurde deutlich, dass der rechtsextremen terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) auch dieser Anschlag zuzuschreiben ist. Deutschlandweit hatte der NSU zwischen 2000 und 2007 neun Menschen mit Migrationsgeschichte ermordet sowie eine Polizistin.

Überschattet wurde das Kulturfest am Sonntag vor Beginn von Sicherheitsmaßnahmen der Polizei, nachdem Bombenspürhunde an der Hauptbühne angeschlagen hatten. Der Bereich wurde zeitweilig abgesperrt. Verdächtige Gegenstände seien aber nicht gefunden worden, sagte ein Sprecher der Polizei dem Evangelischen Pressedienst (epd).

„Wir alle sind zusammen hier, weil es wichtig und auch dringlich ist, dass wir die Geschichten und den Schmerz derjenigen sehen, hören und würdigen, die heute vor 20 Jahren hier schwer an Leib und Seele verletzt und dazu auch noch zu Unrecht verdächtigt wurden“, erklärte Steinmeier. Auch in der Zeit der Aufklärung sei die Notwendigkeit oftmals in den Hintergrund gerückt, die Geschichten der Opfer und ihrer Angehörigen zu hören, ihre Erinnerungen wahrzunehmen, beklagte er. „Dies bleibt beschämend für unser Land.“

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Henrik Wüst (CDU) äußerte ebenfalls sein Bedauern über die schweren Ermittlungsfehler. Es erfülle ihn mit Trauer und Scham, was der „menschenverachtende Terroranschlag“ von 2004 an körperlichen, vor allem aber an seelischen Verletzungen hinterlassen habe, die bis heute nachwirkten.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) nannte das Birlikte-Fest einen Appell für ein respektvolles, friedliches und lebensfrohes Aufeinandertreffen der Kulturen. Die Keupstraße sei ein Ort, der den Willen zum friedlichen Miteinander besonders ausstrahle, sagte sie laut Redetext. Doch sitze der „Schmerz vom 9. Juni 2004“ bei vielen Kölnerinnen und Kölnern immer noch tief. Das Denkmal, das in Sichtweite des Anschlagsortes geplant sei, solle zur Heilung beitragen.