Berlin (epd). Nach der Gewalttat eines mutmaßlichen Islamisten aus Afghanistan in Mannheim prüft das Bundesinnenministerium Möglichkeiten, die 2021 ausgesetzten Abschiebungen in das Land wieder aufzunehmen. Bei Personen, die eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland darstellen, müssten Abschiebungen besonders forciert werden, hieß es am Dienstag aus dem Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie lasse daher „intensiv Möglichkeiten prüfen, wie Abschiebungen von Straftätern und Gefährdern nach Afghanistan wieder erfolgen können“.
Zuvor waren Forderungen nach Abschiebungen in das 2021 von den radikalislamischen Taliban zurückeroberte Land von den Innenministern der Länder laut geworden. Hamburgs SPD-geführtes Innenressort will das zum Thema der Innenministerkonferenz machen. Auch Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) ist nach Worten von Senatssprecherin Christine Richter dafür, Schwerstkriminelle auch in Länder wie Syrien und Afghanistan abzuschieben.
Entsprechende Forderungen kamen auch von Innenministern der Union. „Wenn es in Afghanistan unterschiedlich sichere Gebiete hat, dann gibt es auch sichere Gebiete“, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag dem Sender Welt TV und ergänzte: „Und deshalb finde ich: Lasst uns darüber nachdenken.“ Auch die Spitze der Unionsfraktion im Bundestag forderte am Dienstag Möglichkeiten zur Abschiebung ausreisepflichtiger Afghanen.
Aus der Regierungskoalition im Bund kommt Unterstützung für solche Pläne von der FDP. Wer in Deutschland islamistisch auffällig geworden sei, müsse auch in Länder wie Afghanistan abgeschoben werden können, sagte Fraktionschef Christian Dürr in Berlin. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Rolf Mützenich, sagte, er könne sich vorstellen, dass vor dem Hintergrund der aktuellen Situation innerhalb der Bundesregierung „bei dem ein oder anderen eine größere Bereitschaft ist, diesen Weg mitzugehen“.
Gleichzeitig räumte er ein, dass die Frage nach Verhandlungen mit den Taliban „eine ganz schwierige Situation“ sei. Auch aus dem Bundesinnenministerium hieß es, angesichts der schwierigen Sicherheitslage und der Tatsache, dass keine international anerkannte Regierung in Afghanistan existiere, seien „schwierige Fragen zu klären“.
Ablehnung kommt derzeit von den Grünen. Deren Innenpolitikerin Lamya Kaddor sagte am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“, Menschen, die hierzulande schwere Gewaltstraftaten verübt haben, sollten auch hier ihre Strafe bekommen und nicht in ein islamistisches Regime abgeschoben werden, wo sie wahrscheinlich gar keine Strafe zu befürchten hätten. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ließ Skepsis erkennen. „Wir können auch Verbrecher nicht in den Tod schicken“, sagte er in Stuttgart.
Abschiebungen nach Afghanistan sind angesichts der Sicherheitslage in dem Land umstritten. 2016 verhandelte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ein Abkommen zur Abschiebung insbesondere von Straftätern und Gefährdern mit der damaligen afghanischen Regierung. Im August 2021, wenige Tage vor der erneuten Eroberung der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die Taliban, setze der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Abschiebungen angesichts der dramatisch verschlechterten Sicherheitslage nach dem Abzug der internationalen Truppen aus. Dabei ist es bis heute geblieben.
Auslöser der aktuellen Debatte ist der tödliche Messerangriff in Mannheim. Dort hatte am vergangenen Freitag ein 25-jähriger Afghane, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt, Menschen am Stand der islamkritischen Bürgerbewegung „Pax Europa“ mit einem Messer angegriffen. Ein 29-jähriger Polizeibeamter, der eingreifen wollte, erlitt mehrere Stiche im Kopfbereich und starb am Sonntag an den Verletzungen.