Frankfurt a.M. (epd). Das rassistische Party-Video aus Sylt sorgt bei den Spitzen des Staates für Empörung und Besorgnis. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besorgt insbesondere „die Verrohung der politischen Umgangsformen“. Die Ereignisse in dem Internet-Video verstärkten diese Beunruhigung. „Sie verstärken sie, weil es offensichtlich nicht nur die Randständigen, Abgehängten sind, die sich radikalisieren, sondern es ist eine Radikalisierung, die mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet“, sagte das Staatsoberhaupt am Samstag in Bonn am Rande des „Fests der Demokratie“.
Umso mehr komme es auf die große Mehrheit der Demokratinnen und Demokraten in Deutschland an, die Demokratie und Umgangsformen zu bewahren, „in denen sich Demokratie entwickeln kann“, sagte Steinmeier. Das am Donnerstag auf breite Aufmerksamkeit gestoßene Video zeigt, wie Gäste einer Kampener Bar auf Sylt rassistische Texte zur Melodie des Party-Hits „L’amour toujours“ von Gigi D'Agostino grölen. Zudem ist zu sehen, wie ein Mann einen Hitlergruß und mit der anderen Hand einen Hitlerbart an der Oberlippe andeutet. Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte dem Fernsehsender Phoenix, wenn man solche unappetitlichen Auftritte sehe, frage man sich, was in den Köpfen dieser jungen Menschen vorgehe. „Ich wünsche mir viel Zivilcourage und dass andere dagegen halten“, sagte sie am Samstag in Bonn. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nannte die Szenen „verstörend und absolut inakzeptabel“. „Solche widerlichen Pöbeleien dürfen keinen Platz haben“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag).
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sieht in dem Vorfall einen Beleg für das Vordringen menschenfeindlicher Ideologie in die Gesellschaft. Die Aufnahmen schockierten ihn, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND, Sonntag). „Nicht etwa, weil mich die Existenz solch menschenfeindlicher Ideologie überrascht, sondern weil sie ganz offensichtlich Teil der Popkultur und in einem Milieu salonfähig geworden ist, dem klar sein müsste, dass Ausländer maßgeblich zu unserem Wohlstand beitragen.“
Die rassistischen Gesänge machen nach Einschätzung des Konfliktforschers Andreas Zick einmal mehr deutlich, dass Rechtsextremismus „kein Arme-Leute-Extremismus“ ist. Im Hinblick auf rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen zeige sich immer wieder, „dass sogenannte neoliberale soziale Orientierungen, die Vermögende prägen, und die Behauptung, ihnen stünde mehr zu, die Demokratiedistanz der Abgesicherten prägt“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). In den radikalen Parteien seien zudem viele Vermögende in Spitzenpositionen.
Stark verbreitet ist laut Zick ein neuer „erlebnis- und unterhaltungsorientierter Rassismus und Rechtsextremismus“, den soziale Medien salonfähig gemacht hätten. Rassismus und der eigene Extremismus würden inszeniert, karikiert, verharmlost und gerechtfertigt. „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs solch radikaler Gemeinschaft der Bessergestellten“, sagte er.