Itzehoe (epd). Im Prozess um eine tödliche Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt in Schleswig-Holstein hat das Landgericht Itzehoe den 34-jährigen Ibrahim A. am Mittwoch zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht befand ihn wegen Mordes, versuchten Mordes und schwerer Körperverletzung für schuldig. Es sah zudem die besondere Schwere der Schuld als bestätigt an. „Eine außergewöhnliche Verhandlung um eine außergewöhnlich erschütternde Tat findet ihr Ende“, sagte der Richter.
Dem Tag der Urteilsverkündung waren 38 Verhandlungstage und die Befragung von 97 Zeugen und Gutachtern vorausgegangen. Am Ende sah es die Kammer als erwiesen an, dass A. am 25. Januar 2023 in dem Zug von Kiel nach Hamburg eine 17-Jährige und ihren 19-jährigen Freund getötet sowie vier weitere Menschen teils schwer verletzt hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bevor der Richter das Urteil verlas, fasste sich Ibrahim A. mit der Hand aufs Herz und nickte den Anwesenden zu. Neben ihm saß ein Dolmetscher, der die Worte des Richters für den Angeklagten ins Arabische übersetzte. Ibrahim A. nahm den Urteilsspruch ohne sonderliche Regung zur Kenntnis.
Zum Motiv führte der Richter aus, A. habe aus Frust gehandelt. Der Angeklagte habe sich seit Längerem ungerecht behandelt gefühlt. Behördengänge in Kiel am Tag der Tat seien nicht wie gewünscht verlaufen. Nachdem A. schon länger den Gedanken in sich getragen habe, mehrere Menschen töten zu wollen, sei dieser Entschluss nach den Behördengängen offenbar gereift. Er habe willkürlich beliebige Menschen umbringen wollen und dazu in einem Kieler Supermarkt ein Küchenmesser gestohlen, das er für die Taten nutzte. Für die seiner Ansicht nach erfahrene Ungerechtigkeit habe er Vergeltung üben wollen. Im Zug habe er beharrlich und entschlossen gehandelt.
Ibrahim A. war 2014 nach Deutschland gekommen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, A. wurde jedoch subsidiärer Schutz gewährt. Er lebte zunächst in Euskirchen (Nordrhein-Westfalen), war dann von Juli bis November 2021 in Kiel gemeldet. In einer Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen erhielt er Hausverbot, weil er Mitbewohner bedroht haben soll.
Anschließend lebte er in Hamburg, wo er wegen gefährlicher Körperverletzung straffällig wurde und bis kurz vor der Tat in U-Haft saß. Am 25. Januar 2023 reiste er nach Kiel, um seine Aufenthaltsgenehmigung verlängern zu lassen, allerdings ohne Erfolg.
Die Staatsanwaltschaft hatte für Ibrahim A. lebenslange Haft gefordert, seine Verteidigung hatte für eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung plädiert. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigte dem Angeklagten eine posttraumatische Störung, aber keine Psychose. Ibrahim A. sei damit voll schuldfähig, hieß es von einem Sachverständigen Ende April während des Prozesses.
Aus Ibrahim A.s Gefangenenakte geht hervor, dass der Palästinenser sich den Terroristen Anis Amri, den Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz, zum Vorbild genommen haben könnte. Der Richter führte weiter aus, A. habe nach seiner Tat von Polizeibeamten wissen wollen, wie viele Menschen er getötet habe, welches Geschlecht und welche Nationalität die Opfer gehabt hätten.
Die Tat hatte bundesweit Aufsehen erregt. Das junge Paar, das die Tat nicht überlebte, hatte in Neumünster gemeinsam die Berufsschule besucht. Im Juni 2023 war bekannt geworden, dass eine durch die Tat verletzte Frau Suizid begangen hatte.
Der Fall hatte auch Mängel in der Kommunikation zwischen den Behörden in Hamburg, Schleswig-Holstein und dem Bund offengelegt. Die Ausländerbehörde Kiel und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten sich nach der Tat darüber beschwert, dass die Hamburger Justizbehörde sie nicht ausreichend über Ibrahim A. informiert habe. Die wiederum hatte dem vehement widersprochen.