Berlin (epd). Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, beobachtet eine wachsende Aufmerksamkeit für Kindesmissbrauch in Deutschland. Bei einem seit zehn Jahren erreichbaren Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch suchten zunehmend Menschen aus dem Umfeld von Kindern und Jugendlichen sowie Fachkräfte Unterstützung, die Anzeichen sexueller Gewalt beobachtet hätten, erklärte Claus bei einem Vor-Ort-Besuch am Donnerstag in Berlin. In den Anfangsjahren hatten vor allem Betroffene angerufen, die selbst als Kinder sexueller Gewalt ausgesetzt waren.
Seit dem Start am 2. Mai 2014 wurden beim Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch 50.000 Telefonate geführt. Seit 2021 gibt es auch eine Online-Beratung, an die sich nach Angaben der Beauftragten vor allem viele junge Menschen wenden, die sexuelle Gewalt im Internet erfahren. Die Beratung am Hilfe-Telefon erfolgt anonym und in 19 Sprachen, per Videocall auch in Gebärdensprache. Das Hilfsangebot wurde nach und nach ausgeweitet, seit zwei Jahren gibt es auch eine Fachkräfte-Beratung, an die sich beispielsweise Kita-Beschäftigte oder Lehrkräfte wenden können.
Claus sagte im „Morgenmagazin“ des ZDF, das Hilfe-Telefon biete eine niedrigschwellige Möglichkeit, Hilflosigkeit zu überwinden. Es gehe zunächst um ein Sondieren der Lage und mögliche nächste Schritte, um ein Kind zu unterstützen.
Bei ihrem Besuch anlässlich des zehnjährigen Bestehens informierte sich die Missbrauchsbeauftragte über die Arbeit des Hilfe-Telefons. Solche Angebote für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte seien unverzichtbar und müssten weiter ausgebaut werden, erklärte sie. Claus forderte eine zügige Umsetzung des geplanten Anti-Missbrauchsgesetzes. Der Entwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) der Ende Mai vom Bundeskabinett beraten werden soll, stellt das Amt der Missbrauchsbeauftragten, die Aufarbeitung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie vorbeugenden Maßnahmen wie etwa Schutzkonzepte für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe auf eine gesetzliche Grundlage.
Die Auswertung der seit 2016 laufenden Begleitforschung des Hilfe-Telefons zeigt, dass seit gut vier Jahren die Anrufe zu Verdachtsfällen zugenommen haben und auf einem konstanten Niveau bleiben. Es meldeten sich mehr Fachkräfte aus dem Umfeld einer Person (plus 16,4 Prozent). Das soziale Umfeld (22 Prozent), der Kindergarten (7 Prozent) und die Schule (11 Prozent) werden vermehrt als Ort des möglichen Missbrauchs benannt. In den Anfangsjahren bezeichneten die Anruferinnen und Anrufer die Familie in weit mehr als der Hälfte als Tatort (60 Prozent), im vorigen Jahr lag der Anteil bei 43,5 Prozent.
Die Leiterin des Hilfe-Telefons, Silke Noack, erläuterte, es riefen zunehmend Menschen an, die „ein komisches Gefühl“ hätten: „Sie haben etwas beobachtet, wissen aber nicht, wohin sie sich wenden können“, sagte sie. In den Gesprächen gäben die Beraterinnen und Berater erste fachliche Einschätzungen und Hinweise zum weiteren Vorgehen. Beim Hilfe-Telefon arbeiten ausschließlich pädagogisch und psychologisch geschulte Personen, überwiegend Frauen. Die Anrufenden sind zu fast drei Vierteln weiblich.
Das Hilfe-Telefon ist ein Angebot der Nationalen Informations- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend und wird vom Amt der Missbrauchsbeauftragten finanziell gefördert.