Bielefeld (epd). Gut vier Monate nach ihrem Rücktritt als EKD-Ratsvorsitzende und westfälische Präses übernimmt die Theologin Annette Kurschus eine neue Aufgabe: Die 61-Jährige wird zum 1. April Pastorin und Seelsorgerin in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld, wie das Diakonie-Unternehmen am Montag mitteilte. Kurschus war am 20. November als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen zurückgetreten. Sie war durch Vorwürfe unter Druck geraten, sie sei nicht ausreichend transparent mit einem Missbrauchsverdacht an ihrem früheren Arbeitsort Siegen umgegangen.
In Bethel soll Kurschus den Vorsitz der Ethik-Kommission übernehmen und damit „die ethische Positionierung Bethels in den kirchlichen und gesellschaftlichen Debatten vertreten“, wie es hieß. Weitere Aufgaben seien die Leitung des Hauses der Stille - eines Einkehrhauses mit theologischer Bildungsarbeit - sowie seelsorglicher Dienst im Hospiz „Haus Zuversicht“, das derzeit durch einen Neubau erweitert wird. Außerhalb Bethels werde die Theologin ihre vielfältige Vortrags- und Predigttätigkeit weiterführen. Dazu gibt es eine Vereinbarung mit der westfälischen Kirche - Kurschus bleibt Pfarrerin der Landeskirche und wird der Tätigkeit in Bethel gemäß dem Pfarrdienstgesetz „zugewiesen“.
„In der neuen Aufgabe werde ich wieder den ursprünglichen pastoralen Dienst tun können, der mir in den großen kirchlichen Leitungsämtern oft gefehlt hat“, erklärte Kurschus. Sie werde wieder viel unmittelbarer mit den Lebensgeschichten unterschiedlichster Menschen in Berührung sein: „Darauf freue ich mich.“ Bethel ist eines der größten diakonischen Unternehmen Europas. Maßgeblich geprägt wurde die Einrichtung von Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910), der 1872 die Leitung übernahm. Er gab den Anstalten den biblischen Namen Bethel (Haus Gottes).
Bethel-Chef Ulrich Pohl zeigte sich erfreut, Kurschus für den Dienst gewonnen zu haben. „Wir sind voller Vertrauen, dass ihr langjähriges Wirken für die Menschen in Bethel auch über Bethel hinaus weiter Früchte tragen wird“, sagte der Vorstandsvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Stiftungen.
Die frühere leitende Theologin von EKD und westfälischer Kirche sei der Arbeit in Bethel „schon lange sehr verbunden“, hieß es. So habe sie als Präses ihren Predigtsitz in Bethel genommen und auch als EKD-Ratschefin regelmäßig Gottesdienste in der dortigen Zionsgemeinde gefeiert. Pohl hatte im November den Ämterverzicht von Kurschus bedauert und erklärt, er habe sie „immer als zugewandte und sehr konsequente Streiterin für die Menschen in der Diakonie und in Bethel erlebt“.
Wer Kurschus im Ratsvorsitz der EKD folgt, soll bei der nächsten EKD-Synode im November entschieden werden. Bis dahin amtiert die frühere Kurschus-Stellvertreterin Kirsten Fehrs. In der westfälischen Kirche hat der Theologische Vizepräsident Ulf Schlüter kommissarisch die Präses-Aufgaben übernommen. Wie lange die Präses-Vakanz dauert, ist noch offen. Am kommenden Samstag berät eine Sondersynode über den Zeitplan für eine Neubesetzung, aber auch über eine mögliche Verschlankung des theologischen Leitungsamtes.
Hintergrund des Kurschus-Rücktritts ist der Missbrauchsverdacht gegen einen ehemaligen Kirchenmitarbeiter, der in den 90er Jahren junge Männer sexuell bedrängt haben soll und mit dessen Familie Kurschus lange befreundet war. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Siegen stehen inzwischen vor der Einstellung, weil sich keine strafrechtlich relevanten Vorgänge ergeben hätten. Während der EKD-Synode im November hatte die „Siegener Zeitung“ Aussagen zitiert, Kurschus habe bereits vor über 20 Jahren von dem Verdacht gegen den Beschuldigten gewusst. Die Theologin wies dies zurück und beteuerte, sie habe erst Anfang 2023 durch eine Anzeige von den Vorwürfen erfahren.