"Fusionen bei Kirchen können beinahe eine Ewigkeit dauern"

iStockphoto/Felix Möckel
Bei einer Fusion wie der zur Nordkirche es wichtig, gemeinsame Rituale zu schaffen.
"Fusionen bei Kirchen können beinahe eine Ewigkeit dauern"
Wenn Unternehmen fusionieren, kommen eine Reihe von Problemen auf: Zum Beispiel die Frage nach einer neuen, gemeinsamen Identität. Wie schafft aber schafft man die? Und welche Fragen stehen beim Arbeitsprozess am Anfang? An diesem Punkt kommen Fusions-Coaches zum Einsatz. Einer von ihnen ist Joachim Dettmann. Er kennt sich nicht nur bei Fusionen aus, sondern weiß auch noch um die Besonderheiten und Probleme bei kirchlichen Zusammenschlüssen
21.05.2012
Maike Freund

Worauf kommt es bei einer Fusion als erstes an?

Joachim Dettmann: Das kommt darauf an, wie man vorgeht. Ich mache es gerne so, dass ich am Anfang mit den Teilnehmern klarstelle, wie die Positionen sind. Ich frage beispielsweise danach, was eint und was trennt. Gibt es mehr Gemeinsamkeiten, wird der Zusammenschluss voraussichtlich konfliktärmer und schneller gehen, sind die Differenzen hingegen groß, kann es ein langwieriger und schmerzhafter Prozess werden. Auf jeden Fall kann man – wenn die Positionen klar sind – gut erkennen, vor welchem Berg man steht, den es zu erklimmen gilt.

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Welche Ängste gibt es bei Fusionen?

Dettmann: Es kommt darauf an, ob es sich gleichsam um eine Liebeshochzeit oder eher um eine Zwangsehe handelt. Häufig spielt die Angst vor feindlicher Übernahme eine Rolle, oder der Verlust von Ressourcen (Finanzen, Personal, Gebäude) oder an angestammter Identität.

Was sind die Besonderheiten bei Fusionen innerhalb der Kirche?

Dettmann: Die Unternehmenskultur in der Kirche ist sehr ausgeprägt. Kein Wunder, denn die Kirche hat ja auch eine 2.000 Jahre lange Geschichte. In dieser Zeit sammeln sich viele (geliebte) Traditionen an, und die prägen. Hinzu kommt: Die Traditionen können je nach Kirchenkreis oder Gemeinde sehr unterschiedlich sein. Bei einer Fusion prallen diese nun aufeinander. Und dann machen sich dogmatische Überzeugungen breit, die nicht immer nachvollziehbar sind – so etwas kann eine Fusion schwierig machen, wenn nicht sogar verunmöglichen.

"Bei der Kirche gibt es kaum unternehmerisches, mithin kaufmännisches Denken und Handeln"

Können Sie ein Beispiel nennen?

Dettmann: Wenn im Zuge einer Fusion sakrale Gebäude aufgegeben werden sollen, dann ist es häufig so, dass es starre Vorstellungen für die weitere Nutzung gibt. In Gebäuden, an die die Menschen Erinnerungen haben wie Taufe, Konfirmation, Hochzeit oder Trauerfeier, wollen sie keine Bank oder Mietwohnungen sehen.

Welche Unterschiede gibt es zu Wirtschaftsunternehmen?

Dettmann: In der freien Wirtschaft fragt man sich: Was kostet uns die Fusion? Und man weiß: Wenn fünf Führungskräfte eine Zeit lang regelmäßig zusammenkommen, um über einen möglichen Zusammenschluss zu beraten, dann kostet das Geld, das kalkuliert werden muss. Das ist ein Grund dafür, dass eine Fusion effektiv und schnell über die Bühne gehen muss. Bei der Kirche lässt man das öfters einfach so laufen. Hier gibt es kaum unternehmerisches, mithin kaufmännisches Denken und Handeln. Es ist nicht gerade selten, dass sich dann eine Fusion über Jahre hinweg zieht.

"Eingeübte Rituale können dabei helfen, soziales Verhalten und damit auch Identität zu stiften"

Wie lange kann denn der Fusions-Prozess dauern?

Dettmann: Die Fusion ist mitnichten mit der Vertragsunterzeichnung abgeschlossen. Es sind vor allem die Kulturen, die sich anpassen müssen, und das kann bei Kirchen schon mal acht bis zehn Jahre dauern – also beinahe eine Ewigkeit. Es hat auch mit den Mitarbeitern zu tun. Man sieht: Erst wenn der alte Mitarbeiterstamm weitgehend ausgetauscht ist und die verwurzelten Vorstellungen und Identitäten nicht mehr in den Köpfen vorhanden sind, kann eine neue, gemeinsame Kultur sich entwickeln. Bei Wirtschaftsunternehmen wird das professionell geführt und begleitet. Da regeln das häufig so genannte Change-Manager. Eine Fusion bei kleinen und mitttleren Unternehmen dauert im Schnitt bis drei Jahre, bei internationalen Konzernen kann dies auch fünf bis sieben Jahre dauern.

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Ein wichtiger Punkt bei einer Fusion ist die Identität. Wie aber schafft man die?

Dettmann: Dabei ist es wichtig, gemeinsame Rituale zu schaffen. Ein Beispiel: Bei einer Fusion von Kirchengemeinden kam nach der Vertragsunterzeichnung ein Lkw mit 50 Trommeln zum Einsatz. Die Mitarbeiter sollten trommeln, um in einen gemeinsamen Takt zu kommen. Solche emotionalen und direkt erfahrbaren Rituale sind wichtig. Denn eine Identität entsteht nicht von allein. Wir Menschen lernen schnell, aber wir verlernen nur langsam. Eingeübte Rituale können dabei helfen, soziales Verhalten und damit auch Identität zu stiften.