Kassel (epd). Gehbehinderte Menschen müssen ihren Bedarf an Mobilität nicht allein aus dem Sozialhilfe-Regelsatz und einem behinderungsbedingten Mehrbedarf decken. Übersteigen die in der Freizeit angefallenen Kosten eines Sonderfahrdienstes für alte und behinderte Menschen den im Sozialhilfe-Regelsatz enthaltenen Mobilitätsbedarf, können zusätzlich auch Eingliederungshilfeleistungen zur Deckung der Fahrtkosten beansprucht werden, urteilte am Dienstag das Bundessozialgericht (BSG). So könne das Recht auf soziale Teilhabe verwirklicht werden. (AZ: B 8 SO 9/22 R)
Geklagt hatte eine 85-jährige Berlinerin mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80. Außerdem wurde bei ihr das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) sowie das in Berlin geltende landesrechtliche Merkzeichen „T“ (Telebus/Sonderfahrdienst) zuerkannt. Mit Letzterem konnte sie einen Sonderfahrdienst für Freizeitfahrten nutzen. Der Fahrdienst transportierte sie nicht nur zu den gewünschten Orten, er trug die alte Frau auch in ihre Wohnung im 5. Stock. Pro Fahrt müssen Betroffene derzeit fünf Euro zuzahlen.
Die Frau meinte, dass sie die anfallenden Kosten als Eingliederungshilfeleistungen und damit zusätzlich zu ihren Grundsicherungsleistungen erhalten kann. Das Land Berlin lehnte das ab. Der Sozialhilfe-Regelsatz decke Bedarfe für Fahrten in der Freizeit ab. Außerdem sei bei ihr wegen der Gehbehinderung ein Mehrbedarf anerkannt worden, sodass die Rentnerin die Kosten bezahlen könne. Während des Verfahrens erkannte das Land zumindest die Kosten für das Tragen in den 5. Stock als Eingliederungshilfeleistung an.
Das BSG verwies den Fall an das Landessozialgericht Potsdam zurück. Es sei durchaus denkbar, dass die Klägerin Anspruch auf weitere Eingliederungshilfeleistungen für den Sonderfahrdienst hat.
Zwar sei der Mobilitätsbedarf zunächst aus dem Regelsatz sowie aus dem Mehrbedarf wegen Gehbehinderung zu decken. Fielen jedoch darüber hinaus Mehrkosten für die soziale Teilhabe in der Freizeit - hier der Fahrdienst - an, seien diese als Eingliederungshilfeleistungen zu übernehmen. Der Anspruch bestehe nur, wenn andere Sozialleistungen diese Kosten nicht abdecken, entschied das BSG. Entstünden Mehrkosten für die Freizeitfahrten, seien diese zur Sicherstellung der sozialen Teilhabe zu übernehmen. Nicht in der Freizeit durchgeführte Fahrten von Assistenzdiensten seien dagegen generell als Eingliederungshilfeleistungen zu erstatten.