Beratungsstellen dokumentieren 875 Fälle von Menschenhandel

Beratungsstellen dokumentieren 875 Fälle von Menschenhandel
Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland kommen in den verschiedensten Formen und Bereichen vor. Betroffen sind mehrheitlich Frauen, viele davon aus Westafrika. Seit 2020 versuchen Beratungsstellen das Ausmaß in einem Bericht zu erfassen.

Berlin (epd). Fachberatungsstellen haben 2022 bundesweit 875 Fälle von Menschenhandel dokumentiert. Davon sind laut dem aktuellen Bericht des Koordinierungskreises gegen Menschenhandel (KOK) im vergangenen Jahr 236 Fälle neu dazugekommen. 88 Prozent der beratenen Betroffenen seien Frauen gewesen, sagte die Geschäftsführerin des Koordinierungskreises, Sophia Wirsching, am Montag bei der Vorstellung in Berlin. Am Mittwoch ist der Europäische Tag gegen Menschenhandel.

Die Mehrheit komme aus westafrikanischen Ländern wie Nigeria (52 Prozent), Guinea (9,96 Prozent) oder Gambia (6,68 Prozent), sagte Wirsching. Sechs Prozent der Klientinnen hatten den Angaben zufolge einen rumänischen Pass, knapp sieben Prozent waren aus Deutschland.

Rund 60 Prozent der Betroffenen wurden im Bereich sexueller Dienstleistungen eingesetzt. In mehr als 15 Prozent der Fälle ging es um Beschäftigungen beispielsweise als Pflegekraft, in der Gastronomie, als Au-pair, im Bereich Transport/Logistik oder als Bettlerin. 4,5 Prozent der Betroffenen mussten sich als Haushaltshilfe verdingen.

Knapp 85 Prozent der Fälle wurden von den Fachberatungsstellen als Straftatbestand Menschenhandel eingestuft, 72 Prozent zudem als Zwangsprostitution. In elf Prozent handelte es sich nach Einschätzung der Fachleute um den Straftatbestand „Ausbeutung der Arbeitskraft“, bei weiteren fünf Prozent der Fälle verbunden mit einer Freiheitsberaubung.

Mehr als zwei Drittel der Klientinnen und Klienten der Beratungsstellen waren zwischen 22 und 39 Jahren alt, 14 Prozent gaben an, minderjährig zu sein. Viele gaben laut Wirsching zudem an, Kinder zu haben, die in Deutschland oder in den Herkunftsländern leben. „Die Not der Klientinnen ist teilweise sehr groß“, sagte die Geschäftsführerin.

In Kontakt mit den Beratungsstellen kamen zwölf Prozent der Betroffenen über die Polizei, zehn Prozent über die Asyl- und Integrationsberatung. In acht Prozent der Fälle wurde der Kontakt aufgrund von Hinweisen aus der Community aufgenommen. 46 Prozent der Nennungen entfielen auf weitere Akteure wie den Zoll, Ärzte, Frauenschutzprojekte, Freier oder das Bundesamt für Flüchtlinge.

Der seit 2020 zum vierten Mal veröffentlichte Datenbericht des Koordinierungskreises versteht sich laut Wirsching als Ergänzung zum Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA). Dabei seien die von 19 beteiligten Beratungsstellen zusammengetragenen Zahlen „lediglich ein kleiner Ausschnitt aus einem mutmaßlich großen Dunkelfeld“.

In dem jährlichen BKA-Lagebild zu Menschenhandel würden nur abgeschlossene Verfahren abgebildet. Um das Ausmaß des Phänomens Menschenhandel in Deutschland und die Bedarfe der Betroffenen abbilden zu können, müssten die Daten aus der zivilgesellschaftlichen Praxis unbedingt berücksichtigt werden, forderte Wirsching.

Laut der Leiterin der katholischen Fachberatungsstelle In Via Berlin-Brandenburg, Margarete Muresan, geht es auch um eine Verbesserung der Rechte von Opfern von Menschenhandel. Der Menschenhandel könne nicht nur aus strafrechtlicher Sicht betrachtet werden. Entscheidend wäre beispielsweise ein erleichterter Zugang zu einem humanitären Aufenthaltstitel für Betroffene.