Köln (epd). Der Kölner Schriftsteller Navid Kermani charakterisiert die Lage in Nahost als neuen Dreißigjährigen Krieg. Spätestens seit 2003 breche ein Land nach dem anderen auseinander, werde ein Land nach dem anderen von Gewalt, Vertreibung, Bürgerkrieg und Terror heimgesucht, sagte der Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Samstag). „Was Israel jetzt widerfährt, ist daher nicht neu. Aber es betrifft uns ungleich stärker, weil Israel uns aufgrund der deutschen Geschichte besonders nahesteht.“
Kermani unterstrich angesichts des Terrorangriffs der radikalislamischen Hamas auf Israel die Bedeutung der uneingeschränkten Solidarität mit den Menschen in Israel. Angesicht dessen, was sie gerade erlitten hätten, verbiete sich das „Aber“, das sonst für vernünftiges Denken konstitutiv sei. „Wenn man das Wort nur öffentlich ausspricht, sitzt man schon im Boot der Relativierer und Rechtfertiger.“
Der Terror setze das Denken aus, und genau das wollten die Terroristen erreichen. „Sie wollen, dass die Angegriffenen ihre Rationalität, ihre Humanität verlieren. Angreifer und Angegriffene gleichen sich so in einer wechselseitigen Dynamik immer mehr an.“ Das gelte es zu verhindern, betonte Kermani.
Er hoffe und bete, dass der Moment für politisches Handeln wiederkehrt „und aus all diesem Schrecken - und gerade aus diesem Schrecken - paradoxerweise die Einsicht erwächst, dass Araber und Juden nun einmal zusammen auf diesem Fleckchen Erde leben“.
Es gebe auch in Israel „genügend Stimmen, die auf den Zusammenhang zwischen der Politik einer in Teilen rechtsradikalen, rassistischen und offenbar auch korrupten Regierung und der Situation hinwiesen, in die das israelische Volk jetzt geraten sei. Diese Stimmen seien im öffentlichen Diskurs Israels absolut lebendig. “Ich habe den Eindruck, man sollte ihnen fürs Erste nur zuhören und ihnen allenfalls international noch mehr Gehör verschaffen."
Für den politischen und intellektuellen Diskurs in Deutschland sieht Kermani als Aufgabe, gerade auch in Richtung der arabischen und muslimischen Communities zu sagen: „Gewalt gegen Zivilisten verbietet sich. Wer die Gewalt gegen Zivilisten mit klammheimlicher Freude kommentiert, sie gutheißt und damit die Opfer auch noch verhöhnt, der stellt sich gegen unser Gemeinwesen.“
Kermani, geboren 1967 in Siegen, ist ein deutsch-iranischer Schriftsteller, Publizist und Orientalist. Kermani, der als freier Schriftsteller in Köln lebt, wurde mehrfach mit Kultur- und Literaturpreisen ausgezeichnet. 2015 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.