Hamburg (epd). Appelle zu Zusammenhalt und Dialogbereitschaft haben den Festakt zum Tag der Deutschen Einheit geprägt. „Die Demokratie lebt auf Dauer nur, wenn wir alle miteinander im Gespräch bleiben“, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, am Dienstag in Hamburg. Niemand komme ohne Kompromisse aus. Zugleich mahnte er den Staat zur Selbstbeschränkung, um privates Engagement nicht zu unterdrücken.
Harbarth nannte das vor 75 Jahren erarbeitete Grundgesetz einen „Leuchtturm der Freiheit und der Demokratie“. „Doch auch die beste Verfassung ist nur so gut wie das, was Menschen aus ihr machen“, sagte der Präsident des höchsten deutschen Gerichts. In Deutschland sei vieles gut, einiges exzellent, „aber manches kann und muss verbessert werden, um auch in Zukunft zu bestehen“.
Der Staat müsse auf allen Ebenen besser, schneller und handlungsorientierter werden. Zudem bleibe der freiheitliche Staat auf privates Engagement angewiesen. Er solle angesichts der epochalen Veränderungen den Menschen etwas zutrauen. „Und der Mensch sich selbst auch“, sagte Harbarth vor und 1.300 Gästen in der Elbphilharmonie und warnte damit vor einer übermäßigen staatlichen Regulierung.
Harbarth mahnte darüber hinaus, diskursfähig und diskursbereit zu bleiben. „Wir sind auch heute kein gespaltenes Land, aber wir sind auseinandergerückt“, sagte der Jurist und sprach von einem „Klimawandel auch im Inneren unserer Gesellschaft“.
Mit dem Tag der Deutschen Einheit wird die Wiedervereinigung der mehr als 40 Jahre lang getrennten beiden deutschen Staaten gefeiert. Sie wurde am 3. Oktober 1990 mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 vollzogen. Hamburg hat derzeit den Vorsitz im Bundesrat inne und richtete daher in diesem Jahr die Feierlichkeiten zum 3. Oktober aus.
Der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte beim Festakt, nicht Populismus und Polarisierung, sondern Gemeinsinn und Kooperation seien das Gebot der Stunde. „Dafür tragen wir alle Verantwortung. Jeder und jede Einzelne sollte sich fragen, ob sie oder er dazu einen Beitrag leisten kann“, fügte er hinzu.
Tschentscher sieht in der deutschen Geschichte seit 1990 einen Grund für Zuversicht. „Auch wenn das Zusammenwachsen in mancher Hinsicht noch andauert, ist die Wiedervereinigung von Ost und West und die damit verbundene Aufbauarbeit bereits in einer historischen Dimension geglückt“, sagte er.
Das gebe Anlass für Optimismus, auch die großen Aufgaben der heutigen Zeit zu bewältigen. Tschentscher nannte den Klimaschutz, den Umgang mit den weltweiten Flüchtlingsbewegungen und die Veränderungen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. „Mit großer Geschlossenheit stehen wir gemeinsam mit unseren internationalen Partnern an der Seite der Ukraine in ihrem Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit“, sagte der SPD-Politiker unter Applaus der geladenen Gäste.
Harbarth sagte mit Verweis auf die Überwindung der deutschen Teilung: „Aber auch heute leben wir nicht im Paradies, sondern in einer Gegenwart mit Problemen und Herausforderungen, vielleicht in einer selten dagewesenen Verdichtung.“ Er nannte untere anderem die „Rückkehr des Krieges nach Europa“, den Klimawandel, Migration, Bedrohungen der biologischen Vielfalt, die „Verrohung des öffentlichen Diskurses“ und „Rechtsstaatskrisen in Teilen der Europäischen Union“.