Frankfurt a.M. (epd). Die Behörden in Libyen versuchen laut der Politikwissenschaftlerin Hager Ali das Ausmaß der Zerstörung durch die Flut zu verschleiern. Die Katastrophe in Derna sei beispielhaft für die Probleme des Landes und besonders der östlichen Region, die vom Rebellengeneral Chalifa Haftar kontrolliert wird, sagte die Wissenschaftlerin am Giga Institut für Globale Studien dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine der Ursachen für die massiven Schäden durch die Flut sei die grassierende Korruption. Aber es gebe kaum offizielle Daten zu den Folgen, lokale Journalisten seien festgenommen worden, internationale ausgewiesen. „Die Berichterstattung wird unterdrückt, denn wenn man an dem Faden zieht, wird man noch mehr finden.“
In dem Land, das von zwei konkurrierenden Machthabern regiert wird, wütete am 10. September ein heftiges Unwetter. Dämme brachen, ganze Landstriche wurden überflutet, vor allem die östliche Stadt Derna. Tausende Menschen starben, darunter viele Migranten, zahlreiche weitere werden vermisst.
Direkt nach der Flut ist Ali zufolge eine Ausgangssperre verhängt worden. „Dabei ging es nicht darum, die Menschen zu schützen, sondern das mögliche Erstarken anderer Gruppierungen wie Islamisten zu verhindern.“ Das habe die Hilfsbemühungen verzögert. Außerdem habe es nur noch eine passierbare Straße nach Derna gegeben, an der kontrolliert wurde. „Es liegt nahe, dass Haftar nur hat einreisen lassen, wen er wollte, weil man befürchtete, die Katastrophe könne seiner Legitimation weiter schaden.“
Trotz der Repression, der Einschüchterung von Meinungsführern und der Not habe es Proteste in Derna gegeben. „Die Menschen sind wütend, weil die Katastrophe mindestens zum Teil menschengemacht ist“, sagte Ali. Ungeachtet zahlreicher Warnungen seien die zwei nun zerstörten Dämme nicht aufgestockt und seit 2002 nicht mehr gewartet worden. „Die Gelder, die dafür gewesen wären, sind veruntreut worden.“ Dabei sei längst klar gewesen, dass die Bauten aus den 70er Jahren den durch den Klimawandel veränderten Bedingungen nicht standhalten.
„Das Desaster in Haftars Territorium zeigt, dass es ihm, ebenso wie der international anerkannten Regierung im Westen, vor allem um Macht und nicht um die Belange der Bevölkerung geht“, sagte die Wissenschaftlerin. Allerdings gebe es auch historische Gründe für die marode Infrastruktur. Bereits während der Kolonialzeit, dann unter dem Regime von Muammar al-Gaddafi und auch nach dessen Sturz 2011 sei immer aus politischen Gründen entschieden worden, wo investiert wird und wo nicht. „Ballungsräume wurden bevorzugt, die Peripherie vernachlässigt.“ Auch seien manche Ethnien bevorzugt worden, andere Bevölkerungsteile bestraft. „Derna und Bengasi haben wegen des Widerstands der Bevölkerung kein Geld erhalten.“
Ali beklagte, dass die Katastrophe schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwunden sei. „Man ist an Katastrophen-Meldungen aus Libyen gewohnt.“ Dabei bräuchten die Menschen internationale Hilfe für die Aufräumarbeiten und den Wiederaufbau.