Berlin (epd). Die Bundesregierung lehnt eine deutsche Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen ab und setzt weiter auf eine europäische Antwort auf die Migration. „Eine Obergrenze löst das Problem nicht“, sagte der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Wolfgang Büchner, am Montag in Berlin. „Die einzige vernünftige Möglichkeit, bei diesem komplexen Thema Migration voranzukommen, ist eine dauerhafte Steuerung und Ordnung im europäischen Rahmen“, betonte er.
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder hatte sich in der „Bild am Sonntag“ für eine „Integrationsgrenze“ von höchstens 200.000 Migranten im Jahr ausgesprochen. Dies erntete auch von anderer Stelle in der Ampelkoalition Kritik. „Es funktioniert rein rechtlich nicht“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, der „Welt“ (Montag).
Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, sagte der Zeitung: „Asylbewerber würden in der ersten Jahreshälfte aufgenommen, egal ob sie wirklich schutzbedürftig sind oder nicht, und in der zweiten Jahreshälfte würden Schutzsuchende abgewiesen, egal ob sie schutzbedürftig sind oder nicht.“ Das führe das Asylsystem in die Absurdität, denn beim Asylrecht gehe es um die individuelle Schutzbedürftigkeit, sagte Thomae.
Auch in der Schwesterpartei CDU stieß Söders Vorstoß auf Kritik. Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke sagte der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag): „Die Forderung nach einer Obergrenze hat CDU und CSU schon einmal an den Abgrund geführt.“ 2017 hatte der Streit um eine Obergrenze bei der Zuwanderung die Unionsparteien monatelang gelähmt.
Unterstützung erhielt Söder dagegen vom Parlamentarischen Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU). Wenn die „unkontrollierte Massenzuwanderung“ noch länger anhalte, drohe man an dem Ziel zu scheitern, Menschen vernünftig zu integrieren, sagte Frei der „Augsburger Allgemeinen“. Deshalb habe Söder mit seinem Hinweis auf eine Begrenzung der humanitären Aufnahmen recht.
In den vergangenen Tagen rückte das Thema Migration durch die vermehrte Ankunft von Flüchtlingen auf der italienischen Insel Lampedusa wieder verstärkt in den Fokus. Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Woche öffentlich gemacht, dass sie wegen der Weigerung Italiens, Flüchtlinge nach dem Dublin-Abkommen zurückzunehmen, vorerst auch die Vorbereitungen für die Übernahme von Italien im Rahmen des freiwilligen Mechanismus auf Eis legt. Wegen der Situation auf Lampedusa gibt es nach Angaben des Bundesinnenministeriums nun Gespräche zwischen Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und der EU-Kommission.
Derweil forderte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), ein Seenotrettungsprogramm der Europäischen Union (EU), um Flüchtlinge und Migranten vor dem Tod im Mittelmeer zu schützen. „Ich finde, es ist absolut inakzeptabel, dass überhaupt Menschen im Mittelmeer ertrinken“, sagte Barley am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Die EU-Seenotrettungsmission Sophia war 2019 eingestellt worden. Seitdem halten lediglich die Schiffe privater Hilfsorganisationen Ausschau nach in Not geratenen Flüchtlingen und Migranten. Im Juli hatte das EU-Parlament in einer Resolution eine „europäisch koordinierte Seenotrettungsmission“ gefordert.
Die Bundesregierung reagierte darauf zurückhaltend und verwies auf Vorschläge der EU-Kommission vom Wochenende. Sie hatte gemeinsam mit Italien einen Zehn-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Migration im Mittelmeer vorgelegt, der zwar auch eine stärkere Überwachung des Meers vorschlägt, insgesamt aber eher auf die Unterbindung von Überfahrten zielt.
Das Mittelmeer zählt zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen seit Jahresbeginn mehr als 2.300 Menschen ums Leben, oder sie werden vermisst.