Berlin (epd). Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, hat angesichts von Feindseligkeit, Ausgrenzung und Gewalt gegenüber Sinti und Roma mehr Schutz für die Minderheit gefordert. „Die Zahl der gemeldeten Vorfälle mit antiziganistischen Tatmotiven ist erschreckend hoch“, sagte er am Montag bei der Vorstellung des ersten Jahresberichts der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus des Bundes (MIA) in Berlin.
„Rassismus in Jobcentern, Polizeibehörden und Bildungseinrichtungen muss endlich entschlossen bekämpft werden“, betonte Daimagüler. Immer wieder verweigerten Jobcenter Sinti und Roma Leistungen und unterstellten ihnen pauschal Leistungsmissbrauch. Auch Polizei und Justiz tragen nach seiner Darstellung zu einer „systematischen Kriminalisierung von Sinti und Roma“ bei, indem sie bei Straftaten von Clans als Tätergruppen ausgingen.
Die Meldestelle erfasste dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr 621 Vorfälle. Neben einem Fall extremer Gewalt, 17 Angriffen, vier Sachbeschädigungen und elf Bedrohungen wurden demnach 343 Fälle von Diskriminierung und 245 verbale Stereotypisierungen registriert. Die Meldestelle registriert anonym Fälle ober- und unterhalb der Grenze der Strafbarkeit.
Jeder vierte Fall (158) lasse sich dem Alltag zuordnen. Auch im Wohnumfeld (121) sowie im Umgang mit Behörden (119) seien viele Vorfälle erfasst worden, hieß es.
Der Bundesgeschäftsführer der Meldestelle, Guillermo Ruiz, geht nach eigenen Angaben von einer hohen Dunkelziffer aus. Er rechnet für dieses Jahr mit einer deutlich höheren Zahl an gemeldeten Vorfällen. Vor dem Hintergrund von Diskriminierung von Flüchtlingen forderte er den gleichen Schutz von Sinti und Roma wie für andere Menschen aus der Ukraine.
Der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sagte bei der Vorstellung des Berichts, die erfassten Vorfälle zeigten, dass gesellschaftliche Ausgrenzung für die Betroffenen eine Alltagserfahrung sei. Er kritisierte zu wenig Informationen über die Minderheit im Bildungssystem. In der Polizei werde überdies ein Bild von Sinti und Roma weitergeben, das der NS-Zeit entstamme.
Vieles geschehe aus Unwissenheit, so Rose. Auch nach dem Holocaust gebe es für Antiziganismus eine „gewisse Narrenfreiheit“.
In mehr als der Hälfte der gemeldeten Vorfälle handelt es sich laut Bericht um Diskriminierungen, die Hälfte davon im Umgang mit Behörden. Besonders gravierend sei dies im Umfeld von Polizei, Jugendamt, Jobcenter und kommunalen Verwaltungen, die für Flüchtlinge zuständig seien.
Im Bericht wird überdies Antiziganismus gegenüber geflüchteten Sinti und Roma aus der Ukraine beklagt. Deren Benachteiligung betreffe Einreise, Unterbringung, Bildungs- und Arbeitssektor. Ihnen müsse gleichberechtigter Zugang zu Schulen, Wohnraum, sozialen Leistungen und lokalen Hilfsstrukturen gewährt werden.
Das Gleichbehandlungsgesetz, das bislang im Arbeits- und Zivilrecht gilt, müsse auch für den staatlichen Bereich gelten, sodass Diskriminierungen durch Institutionen ebenso wie solche im privaten Bereich geahndet werden könnten, hieß es in dem Bericht. Ferner müssten Anlaufstellen für Betroffene angemessen gefördert werden.