Berlin, São Paulo (epd). Der Oberste Gerichtshof in Brasilien ringt weiter um ein Gesetz zu Landrechten von indigenen Gemeinschaften. Bislang stimmten von elf Richterinnen und Richtern vier gegen und zwei für die sogenannte Stichtagsregelung, wie das Nachrichtenportal „G1“ am Donnerstagabend (Ortszeit) berichtete. Das Gesetz, das noch aus der Regierungszeit des Rechtsextremen Jair Bolsonaro stammt, sieht eine massive Einschränkung der Landrechte der Urvölker vor. Der frühere Präsident wollte damit die wirtschaftliche Ausbeutung des Amazonas-Regenwaldes vorantreiben.
Ureinwohner können laut dem Gesetz nur noch dann Land beanspruchen, wenn sie beweisen können, dass sie bereits vor Inkrafttreten der brasilianischen Verfassung im Jahr 1988 dort gelebt haben. Viele Urvölker wurden jedoch von ihrem ursprünglichen Land vertrieben und hätten so nie wieder eine Chance auf Rückkehr. Das Gericht verhandelt seit Juni und soll Ende kommender Woche seine Beratungen fortsetzen.
Am Donnerstag protestierten Hunderte Vertreterinnen und Vertreter von indigenen Gemeinschaften in der Hauptstadt Brasília gegen das Gesetz. Im Zuschauersaal des Gerichts verfolgte auch der über 90-jährige Kazike Raoni die Abstimmung. In der Verfassung ist das Recht auf Land für indigene Gemeinschaften garantiert. Sie dürfen das Land aber nicht verkaufen.
Über das „Marco temporal“ genannte Projekt wird seit 2021 gestritten. Befürworter wie die Lobby der Großgrundbesitzer begrüßen, das Gesetz schaffe Rechtssicherheit für Landbesitzer und Farmer. Kritiker warnen, bereits genehmigte Indigenen-Schutzgebiete könnten ihren Status verlieren. Außerdem könnten Eindringlinge, die indigene Gebiete zurückgeben mussten, Anspruch auf Entschädigung verlangen. Laut der Indigenenbehörde Funai wären mehr als ein Drittel aller Indigenen-Gebiete vom Gesetz betroffen. Über 300 indigene Völker leben heute in Brasilien, mit insgesamt 1,6 Millionen Menschen.