Bremen (epd). Die Bremer Frühpädagogik-Expertin Ilse Wehrmann fordert einen vom Kanzler einberufenen nationalen Bildungsgipfel, um die Kita-Krise zu überwinden - „ganz kurzfristig, in diesem Herbst“. Notwendig seien deutlich mehr Investitionen: „Die gleiche Summe, die wir jetzt für Rüstung ausgeben, brauchen wir auch für die Bildung“, sagte Wehrmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vieles laufe viel zu langsam: „Den Drive, den Deutschland beim Ausbau der LNG-Infrastruktur hingelegt hat, den wünsche ich mir für die gesamte Bildung, nicht nur für die frühe Bildung. Da sind Sachverstand und Leidenschaft gefordert.“
Wehrmann hat im Freiburger Herder-Verlag eine Streitschrift unter dem Titel „Der Kita-Kollaps“ vorgelegt. Die Lage in den Einrichtungen sei desaströs, kritisierte die 73-jährige Expertin, die als Beraterin in der Politik und für Unternehmen tätig ist. „Es fehlen jede Menge Fachkräfte, es fehlen jede Menge Plätze. Was ich beanstande: Das ist kein Überraschungseffekt.“ Den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gebe es seit 1996 und seit 2013 den Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren.
Vor diesem Hintergrund stiegen viele Mitarbeitende aus, Eltern erlebten keine Verlässlichkeit mehr in der Betreuung. „Die Kinder werden in diesem Spannungsfeld aufgerieben - zwischen der Krise in den Einrichtungen und dem Druck, der auf den Eltern lastet.“ Am meisten ärgere sie die Bürokratie und die damit verbundene Langsamkeit beim Kita-Ausbau.
„Wir kommen mit Entscheidungen nicht von der Stelle“, kritisierte Wehrmann. Deutschland sei verliebt in Sicherheitsauflagen, die festlegten, ob alle Steckdosen den richtigen Abstand hätten oder ob die Garderoben breit genug oder die Toilettenwände hoch genug seien. „Das Wohl des Kindes ist aber nirgendwo mehr gefährdet, als wenn wir sie ohne einen Betreuungsplatz lassen.“
Zentral seien für die Kitas mehr Flexibilität und Schnelligkeit in der Bereitstellung von Räumen. Mit Blick auf die Fachkraft-Misere sagte Wehrmann, nötig seien unter anderem mehr multiprofessionelle Teams, die schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse sowie ein weiterer Ausbau der Ausbildung. Und: „Wir haben in Deutschland 90 Studiengänge zur Frühpädagogik. Aber die Absolventen dürfen zum Teil nicht in den Einrichtungen arbeiten, müssen sich nachqualifizieren.“
Trotz schwieriger Umstände zeigten Kitas in Deutschland, was möglich sei. Dazu gehöre die kommunale Einrichtung Heide-Süd in Halle/Saale. Unter anderem für ihr offenes Konzept habe sie in diesem Jahr den Deutschen Kita-Preis bekommen: „Kinder und Eltern können dort den Alltag mitgestalten, ihre Wünsche stehen über geplanten Abläufen.“