Berlin (epd). Die Bundesregierung hat vielen afghanischen Ortskräften, die für ein deutsches Projekt für afghanische Polizeikräfte tätig waren, ein Visum verweigert. Das Bundesentwicklungsministerium bestätigte am Freitag einen Bericht von WDR, NDR, „Süddeutscher Zeitung“ und dem Investigativbüro „Lighthouse Reports“, wonach von 1.318 Personen aus diesem Kreis, die eine Gefährdungsanzeige stellten, lediglich 56 eine Aufnahmezusage erhielten, mehr als 1.000 aber eine Ablehnung.
Dem Ministerium zufolge geht es um Menschen, die als Lehrer und Berater afghanischen Polizisten Lesen und Schreiben beibringen sollten. Sie seien nicht im „besonderem Maße exponiert und dadurch in Gefahr, ins Visier der Taliban zu rücken“, erklärte eine Sprecherin.
Dem Bericht des Rechercheteams zufolge war die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu einer anderen Einschätzung gekommen. Es handele sich um besonders gefährdete Personen „durch ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und Zusammenarbeit mit der Polizei“, zitieren die Journalisten, die nach eigenen Angaben mit ehemaligen Ortskräften und Regierungsmitarbeitern gesprochen sowie Dokumente, vertrauliche E-Mails, Leitungsvorlagen und interne Unterlagen verschiedener Ministerien und Bundesbehörden ausgewertet haben, aus einer Einschätzung der GIZ.
Ein Sprecher der GIZ erklärte demgegenüber dem epd, sie prüfe Angaben zum Vertragsverhältnis, nicht aber die vorliegende Gefährdung. Kriterien und Voraussetzungen für den Zugang zum Ortskräfteverfahren habe die Bundesregierung definiert.
Die Sprecherin des Entwicklungsministeriums erklärte, dass die Mitarbeiter des „Police Cooperation Project“ (PCP) sogenannte Werkvertragsnehmer waren, also nicht direkt bei einer deutschen Organisation beschäftigt waren. Jeder, der eine Gefährdung aufgrund dieser Tätigkeit melde, werde als Einzelfall geprüft. „Die Einzelfallprüfungen ergaben, dass für die meisten von ihnen keine konkrete, durch ihre Tätigkeit für die Deutschen begründete Gefährdung bestand“, erläuterte die Sprecherin. Diese Einschätzung des Ministeriums sei in allen der knapp 20 Fälle, die vor Gericht gingen, auch bestätigt worden.
Erst kurz vor dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hatte die damalige große Koalition ein vereinfachtes Aufnahmeverfahren für Afghaninnen und Afghanen gestartet, die während des internationalen Militäreinsatzes für die Bundeswehr oder andere deutsche Institutionen gearbeitet hatten und deswegen Verfolgung durch die Taliban fürchteten. Nach der überstürzten Evakuierung nach der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2023 blieben viele Ortskräfte zurück, was für Empörung sorgte. Die Bundesregierung versuchte, sie auf anderen Wegen nach Deutschland zu holen.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums kamen seit Mai 2021 rund 30.000 Ortskräfte nach Deutschland. Über ein von der Ampel-Koalition aufgelegtes Bundesaufnahmeprogramm sollen weiterhin 1.000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen pro Monat aufgenommen werden. Bislang gab es aber erst 300 Aufnahmezusagen.
Das Entwicklungsministerium hat nach eigenen Angaben von insgesamt 6.600 Gefährdungsanzeigen ehemaliger Ortskräfte bislang 3.400 positiv beschieden und 2.500 abgelehnt. Rund 700 seien noch in Prüfung. „Anders als man vor zwei Jahren befürchten musste, hat es unter dieser Taliban-Herrschaft keine systematische Verfolgung von Personen gegeben, die für Deutschland gearbeitet haben“, erklärte die Sprecherin.
Aufgabe des Ministeriums sei es darum, „nicht nur die Ortskräfte zu sehen, sondern auch die 40 Millionen Gesamtbevölkerung, die unsere Hilfe braucht“. Das Ministerium beschäftige auch heute weiter Ortskräfte in Afghanistan. „Wir würden das nicht tun, wenn wir Hinweise auf eine Gefährdung hätten“, sagte die Sprecherin.