Filmkritik der Woche: "Die Wand"

Foto: epd-bild/Studiocanal
Filmkritik der Woche: "Die Wand"
Die letzte Frau auf der Alm: In "Die Wand", der Verfilmung des Apokalypse-Romans von Marlen Haushofer, liefert Martina Gedeck eine grandiose Vorstellung als einsame Städterin, die in einer rauen Alpengegend ums Überleben kämpft, während die Welt draußen versteinert scheint.
10.10.2012
epd
Claudia Lenssen

Martina Gedeck hat ihre Charakterrollen gelegentlich mit einem übersteigerten, künstlichen Schmerzensausdruck überzogen. In "Die Wand", Julian Pölslers Verfilmung des legendären Romanklassikers der österreichischen Schriftstellerin Marlen Haushofer, fällt alles Aufgesetzte von der Schauspielerin ab. Ihr Gespür für den existenziellen Ernst der namenlosen Frau im Mittelpunkt des Films wirkt sehr authentisch.

Gedeck spielt eine elegante Städterin, die in einem abgelegenen Alpental als einziger Mensch die Apokalypse überlebt. Langsam und stetig weiß sie ihre Bewegungen an das Leben mit der Natur anzupassen, das sie als eine moderne Variante des Robinson Crusoe klaglos annimmt.

Am ersten Morgen in einer Jagdhütte, in der sie das Wochenende mit einem verwandten Ehepaar verbringen wollte, wird sie mit dem Unfassbaren konfrontiert. Hinter einer unsichtbaren, unüberwindlichen Wand zwischen ihrer Schlucht und dem Rest der Welt versteinerte über Nacht die Zivilisation.

Die Frau, die nach dem im Dorf eingekehrten Ehepaar Ausschau hält, wird durch die gläserne Grenzwand gewahr, dass jenseits davon die Landschaft, Dörfer und Dinge unzerstört erscheinen, während alle Lebewesen im Moment ihrer letzten Regung erstarrten. Warum die Schlucht mit der Jagdhütte vor der Katastrophe bewahrt blieb, ist ein Rätsel. Wie weit sich die rettende Zone über die unzugänglichen Berge erstreckt und ob irgendwo andere Menschen überlebten, bleibt ebenfalls unklar.

Der Roman "Die Wand" erschien 1963, als weltweit Angst vor dem Ausbruch eines Atomkrieges herrschte. Marlen Haushofer griff die Zeitstimmung auf, differenzierte jedoch die Motive ihrer Protagonistin mit unsentimentaler Klarsicht. Der Roman der 1970 verstorbenen Autorin wurde wegen seiner kritischen Themen und seiner starken Hauptfigur zu einem Klassiker feministischer Literatur.

Ungeahnte Energien in sich entdecken

"Die Wand" appelliert auf den ersten Blick an klaustrophobische Urängste. Tatsächlich entfaltet sich in diesem Szenario jedoch eine Geschichte der abgeklärten Überlebenskunst, ein Bild nie versiegender Zuneigung für die Natur, insbesondere die Tiere, die der Heldin zulaufen. Das uneitle zurückhaltende Spiel von Gedeck steht in Julian Pölslers Inszenierung - es ist sein Kino-Debüt - für diese Hoffnung.

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Eindrücklich wandelt sich Gedecks Äußeres: Die Zeichen bürgerlicher Weiblichkeit (Absatzschuhe, enge Röcke, hochgestecktes Haar) gibt sie zugunsten einer mehr und mehr geschlechtslosen Erscheinung auf. Auf sich gestellt beginnt sie ein neues Leben als Bäuerin und Jägerin, sichert ihre Bleibe und übernimmt Verantwortung für den Jagdhund Luchs, die Kuh Bella, deren Kalb und zwei eigensinnige Katzen.

Mit kostbaren Überbleibseln der Zivilisation, Streichhölzern, Gewehrmunition und Kartoffeln zum Auspflanzen, geht sie planvoll um. Dabei entdeckt sie ungeahnte Energien in sich: Sie schlägt Holz, sammelt vitaminreiche Beeren, baut Kartoffeln an, jagt die Wildtiere des Waldes. Sie übersteht schneereiche Winter und baut einen Stall für die Milchkuh.

Den Verstand nicht verlieren

Das Schreiben wird durch Martina Gedecks Präsenz zum eindrücklichen Überlebensakt. Mit stumpfen Stiften, auf Papier, das im Lauf des Winters zur Neige gehen wird, notiert sie die Chronik ihres Überlebens, ihrer Erinnerungen und Gefühle. Ihre Tage als Bäuerin und Jägerin entwöhnen sie der menschlichen Sprache. Im Übrigen stört keine Filmmusik die Stille. Umso packender die introvertierte Stimme der Heldin, die dem Zuschauer ihre Geschichte erzählt. Das tut sie, um nicht den Verstand zu verlieren.

"Die Wand" nimmt gängige Motive des Apokalypse-Genres auf. Angst vor der Barbarei, die durch den Zusammenbruch der Gesellschaft freigesetzt wird, durchzieht viele dieser Endzeit-Erzählungen. In "Die Wand" fordert ein einzelner Mann, Inbild hirnloser Aggression, die scheinbar zur Ruhe gekommene Frau heraus. Der Tod rückt ihr noch näher, aber das Schreiben, das tägliche Arbeitspensum und nicht zuletzt die Lebenszeichen der sanften Tiere lassen sie nicht aufgeben.

A/D 2012. Regie: Julian Roman Pölsler. Buch: Julian Roman Pölsler (nach einem Roman von Marlen Haushofer). Mit: Martina Gedeck, Ulrike Beimpold, Wolfgang M. Bauer, Karlheinz Hackl, Julia Gschnitzer, Hans-Michael Rehberg. Länge: 108 Minuten. FSK: ab 12 Jahren.