Die Zeiten haben sich geändert. Pädophile auf der Suche nach "Frischfleisch" steuern heute gezielt Kinder-Chatrooms im Internet an, anstatt auf den Spielplatz zu gehen. Das ZDF widmet sich mit dem Themenabend am Donnerstag dem Thema "Cybergrooming", zu deutsch etwa: "Internet-Streicheln". Ziel des Senders: Aufmerksam machen und aufklären über die Gefahr, die Kindern und Jugendlichen in sozialen Netzwerken droht.
Besonders erschreckend findet der Autor der Dokumentation, Manfred Karremann, "die scheinbare Normalität, mit der Kinder im Internet-Chat auf widerlichste Art sexuell angesprochen und belästigt werden." Wenn man sich - so wie die Journalisten oder die Polizei - als "Neunjährige" einlogge, werde man "schon nach zwei Minuten fast ausnahmslos von Perversen angesprochen." Gerade spezielle Chaträume für Kinder und Jugendliche hätten sich als besonders gefährlich erwiesen, so Karremann.
"Kinder, die in der realen Welt keine Freunde haben"
###mehr-info###Veit Schiemann, Pressesprecher und Internet-Experte bei der Opferhilfeorganisation "Weißer Ring", geht davon aus, dass so gut wie alle heute 30-Jährigen schon einmal mit sexuellen Anspielungen oder gar Missbrauch im Internet konfrontiert worden sind. Man könne die Fälle nicht zählen, die Dunkelziffer sei enorm hoch. "Es trifft vermehrt Kinder, die in der realen Welt weniger Freunde haben", so Schiemanns Einschätzung. Anfällig seien aber auch Jugendliche, die weiter entwickelt seien als ihre Altersgenossen, "dabei geht es nicht um körperliche, sondern um geistige Entwicklung. Wenn die Täter Kontakt zu den Kindern aufnehmen, dreht es sich eben nicht sofort um sexuelle Themen, sondern das wird ganz langsam erarbeitet."
Die Täter kennen Tricks. Sie passen sich sprachlich an die Ausdrucksweise der Kinder und Jugendlichen an und informieren sich gezielt über deren Interessengebiete, um ins Gespräch zu kommen, fragen zum Beispiel "Hast du diesen Film gesehen…?" oder "Hast du jene App heruntergeladen…?" Sich als Erwachsener in einem sozialen Netzwerk eine Identität als Kind zuzulegen, ist dabei das kleinste Problem.
Die Motive der Männer seien im Prinzip dieselben wie bei denjenigen, die mit dem Auto herumfahren und Kindern auflauern. "Das eine ist: Sie meinen tatsächlich, dass die Kinder das wollen, das heißt sie sehen die sexuelle Begierde der Kinder wie bei Erwachsenen", erläutert Veit Schiemann. "Die andere Gruppe sind die so genannten 'Ersatzhandler', die sich an einem Kind vergehen, weil es einfach schwächer ist. Da geht es in erster Linie darum, Macht zu demonstrieren."
Welcher Paragraph im Strafgesetzbuch passt?
###mehr-links###Kommt es zu einem Treffen und zu sexuellen Handlungen zwischen einem Erwachsenen und einem Kind, ist das zweifelsfrei eine Straftat. Komplizierter ist die Lage, wenn der Missbrauch sich "nur" über eine Kamera ins Kinderzimmer vollzieht. Ob darauf Paragraph 176 StGB angewandt werden kann ist, umstritten. Dort heißt es: "Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer (…) auf ein Kind durch Schriften einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen (…)" Fällt das Internet unter "Schriften"? Veit Schiemann würde als Journalist dieses Frage bejahen, doch unter Juristen werde sie kontrovers diskutiert. "Wenn der Missbrauch via Kamera passiert, dann könnte meines Erachtens auch ein anderer Strafbegriff ins Spiel gebracht werden, nämlich 'Posing', das ist seit einigen Jahren verboten", erklärt Schiemann. Hierfür wäre Paragraph 184b StGB anzuwenden, darin geht es um die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornographischer Schriften.
Doch bis es zu einem Gerichtsverfahren kommt, muss erst einmal die Polizei von dem Vorfall erfahren. Voraussetzung dafür ist, dass Eltern mit ihrem Kind zur Polizei gehen - und das wiederum bedingt, dass Eltern überhaupt etwas von dem mitbekommen, was am Bildschirm im Kinderzimmer passiert. Der Autor der Dokumentation Manfred Karremann findet es "alarmierend, wie wenig viele Eltern von der alltäglichen Lebenswelt ihrer Kinder im Internet wissen." Dabei sei die "Gefahr, dass Kinder durch das Internet Opfer werden, heute ungleich höher als in der realen Welt auf der Straße."
Veit Schiemann vom Weißen Ring ist selbst Vater - und zwar einer mit hohem Anspruch: "Ein Kind muss schon eine offene Beziehung zu seinen Eltern haben, um über so etwas zu sprechen", meint er. "Es ist die eigentliche Aufgabe der Eltern, für eine gute Familie zu sorgen, und das ist nicht einfach." Darüber hinaus helfe als Schutz vor der Gefahr aus dem Internet nur eines: "Eltern müssen sich informieren, informieren, informieren." Den Begriff "Cybergrooming" brauchten sie nicht unbedingt zu kennen - aber sie müssten wissen: "Wenn so was passiert, was soll ich dann tun?"
Pixi-Hefte zur Aufklärung der Kleinsten
###mehr-artikel###Der Weiße Ring beteiligt sich am Bündnis "White IT", das Kinder vor Missbrauch im Internet schützen will. Dort werden Aufklärungsprodukte sogar schon für Vorschulkinder angeboten: "Wir haben jetzt zum Thema 'Posing' Pixi-Hefte auf den Markt gebracht, wo wir kleine Kinder davor warnen, dass Ältere, die Fotos machen, nicht unbedingt nur Gutes im Sinne haben", erläutert Schiemann. Auf den letzten Seiten der Hefte stehen Hinweise für die Eltern selbst. Jugendliche könne man wohl am besten über Unterrichtseinheiten in der Schule erreichen. Dabei komme es allerdings darauf an, dass Beispiele genannt werden - "damit etwas hängen bleibt."
Wer den Spielfilm "Blindes Vertrauen" sieht, bei dem bleibt mit Sicherheit etwas hängen. Annie und ihre Eltern agieren sehr emotional. Mit riesiger Wut im Bauch versucht Annies Vater Will, den Täter zu überführen - während Annie nur noch weint: "Mein Leben ist ruiniert. Nichts wird wieder wie früher sein." Erst als sie sich umbringen will, findet die Familie wieder zusammen und die Wunden beginnen zu heilen. Zu viel Emotion? "Blindes Vertrauen" wirkt von der Machart her recht "amerikanisch", es fallen Sätze wie "Menschen werden verletzt. Das einzige was wir tun können, ist füreinander da zu sein wenn wir hinfallen und uns gegenseitig aufzuhelfen."
Veit Schiemann findet das gar nicht schlecht. "Deutsche Filme, die sich mit Kriminalitätsthemen präventiv auseinandersetzen, haben oft einen erhobenen Zeigefinger. Besser ist es, wenn der Spielfilm einen fesselt und man dadurch als Zuschauer mit jemandem mitleidet." Einen Familien-Fernsehabend am Donnerstag im ZDF empfiehlt der Experte auf jeden Fall.