Nürnberg, Fürth (epd). Keine Orgel, kein Chor. Scheinwerfer statt Kerzen, Videoleinwand statt Kreuz - und kein Mensch im Altarraum: In Fürth bei Nürnberg feiert der evangelische Kirchentag am Freitag Deutschlands ersten Gottesdienst, der in Ablauf und Texten komplett auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruht. Mehr als 400 Besucherinnen und Besucher sind bei der Premiere in der voll besetzten evangelischen St.-Paul-Kirche dabei. Sie hören nicht nur Gebete und eine Predigt, die von ChatGPT erstellt wurde. Auch die Musik ist eine KI-Komposition. Auf der Videoleinwand tauchen vor grünem Hintergrund Avatare auf, die Menschen nachempfunden sind. Ein Experiment.
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen“, führt eine maschinengenerierte weibliche Stimme reichlich emotionslos in den etwa 40-minütigen Gottesdienst unter dem Motto „Alexa, starte den Gottesdienst“ ein. Und lässt dann gleich dozierend folgen: „Möge unsere gemeinsame Zeit fruchtbar, anregend und vor allem sinnvoll sein.“
Das hofft auch der Wiener Theologe Jonas Simmerlein. Er hat das Projekt initiiert und forscht zum Thema Gottesdienst und KI. Dafür hat er das KI-Programm ChatGPT im Internet vorhandene Daten aus aller Welt auslesen und kombinieren lassen. Woher genau die Inhalte kommen, ist nicht klar. Bei einer anschließenden Podiumsdiskussion nennt Simmerlein als Quelle mit Augenzwinkern ein „Best-of-Kollektiv“.
Die KI jedenfalls sagt Dinge, die in den Ohren der Zuhörenden positiv ankommen könnten. „Liebe Gemeinde, es ist mir eine Freude, als erste KI vor Ihnen zu stehen und zu Ihnen zu predigen“, spricht ein Avatar, diesmal ein junger Mann mit schwarzer Hautfarbe. Im weiteren Verlauf empfiehlt er, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, um wachsen zu können und KI ethisch-verantwortungsvoll einzusetzen. „Möge die Weisheit meines Glaubens dabei helfen, eine gerechtere Welt für alle zu bauen“, sagt die Maschine. Das Publikum reagiert mit Lachen.
Die im Anschluss auch digital übermittelten Rückmeldungen aus dem Kreis der Besuchenden sind überwiegend kritisch: Zu unpersönlich, zu emotionslos, keine Bewegung im Altarraum, keine Atmosphäre, die Musik „wie im Fahrstuhl“.
„Die Gebetssprache ein einziges Geschwätz, der Ablauf ohne Dramaturgie, die wunderbare Kunst des Sprechens geht verloren, der Glaube funktionalisiert mit Aussagen wie 'du musst, du sollst'“, kritisiert Melitta Müller-Hansen, Rundfunkbeauftragte der bayerischen Landeskirche. Außerdem fragt sie: „Spricht die KI im Namen Gottes?“ Und zu der emotionslosen Stimmlage der Avatare sagt sie: „Die Kehle ist die Seele.“
Doch es gibt auch positive Stimmen. Es sei ein Experiment mit Potenzial, lobt beispielsweise die Theologin und Technikanthropologin Anna Puzio. Der Gottesdienst sei „eine coole Sache“. Und der hölzerne Auftritt der Avatare? „Die werden sich verändern“, davon ist sie überzeugt.
Immer wieder geht es in den Reaktionen auf dem Podium und im Kirchenschiff um die Frage, wie die KI reguliert werden kann, wo es Grenzen geben soll und muss. Doch ohnehin sieht der als „Zeremonienmeister“ vorgestellte Projektleiter Simmerlein die KI zunächst in einer assistierenden Rolle. Der Sprachchat könnte als Predigtassistent fungieren: „Die Predigt ist ein Geschehen zwischen Prediger und Gemeinde - und das merken wir.“
Auch Stefan aus dem südhessischen Langen hat während des Gottesdienstes mehrfach mit dem Kopf geschüttelt. Aber der 61-jährige Kirchentagsgast ist auch fest überzeugt: „Das ist ein Prototyp. Da kommt was auf uns zu.“