Brüssel (epd). In der Debatte über eine Reform der europäischen Asylpolitik warnt der Migrationsexperte Bernd Kasparek vor Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen. „Es geht hier nicht darum, zehn oder zwanzig Prozent der Ankommenden festzuhalten. Es geht darum, die überwiegende Mehrheit in Grenzverfahren zu überführen“, sagte der Co-Leiter der Netzwerk-Abteilung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Viele Menschen werden keine Möglichkeit mehr haben, einen Asylantrag zu stellen.“
Am Donnerstag beraten die EU-Innenminister über eine geplante Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS). Im April hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärt, Deutschland werde sich dafür einsetzen, Asylprüfungen bereits an den EU-Außengrenzen durchzuführen. In diese Grenzverfahren sollen demnach Menschen aus Herkunftsländern mit einer Schutzquote von unter 20 Prozent. Aber auch alle Personen, die auf ihrer Flucht durch einen sogenannten sicheren Drittstaat gereist sind, werden betroffen sein.
Die Grenzverfahren werden dem Asylverfahren vorgeschaltet. Dabei wird zunächst formal geprüft, ob Schutzsuchende einen Asylantrag stellen dürfen. Laut EU-Kommission sollen Menschen währenddessen nur im Notfall inhaftiert werden. Kasparek hält das für unrealistisch. „Grenzverfahren prüfen, ob eine Person direkt zurückgeschoben werden soll. Niemand wird sich freiwillig einem solchen Verfahren unterziehen. Daher bedeuten die Grenzverfahren zwingend Inhaftierung. Effektiv werden damit an den Grenzen Europas riesige Internierungslager entstehen.“ Das System der Hotspots auf den griechischen Inseln in der Ägäis könne als Pilotprojekt für die Verfahren betrachtet werden. „Wir werden schlimmere Bilder als in Moria sehen.“
Auch um den Rechtsschutz ist der Wissenschaftler besorgt. „Es muss klar sein, dass man eine Asylentscheidung überprüfen lassen kann. Das bedeutet, dass man Zugang zum Rechtssystem hat, Unterstützung von Anwälten und Nichtregierungsorganisationen bekommt. Das alles ist an den Außengrenzen nicht gegeben. Deswegen müssen Verfahren im Inland stattfinden“, betonte Kasparek.
Die EU-Staaten streiten seit Jahren auch über die sogenannte Sekundärmigration, weil Migranten etwa ohne Erlaubnis von Italien nach Deutschland ziehen, um dort ihren Asylantrag zu stellen. Der Migrationsexperte ist davon überzeugt, dass die Reformvorschläge den Konflikt sogar verschärfen. Das System benachteilige weiterhin systematisch die Staaten an der Außengrenze. Daher würden diese Staaten Ankommende weiterhin brutal zurückweisen oder nach Norden durchlassen.
Kasparek appelliert an die Bundesregierung, gegen die Reform zu stimmen. „Es braucht ein System, das eine tatsächliche europäische Solidarität organisiert und das im Sinne des Flüchtlingsschutzes ist.“