Berlin (epd). In Deutschland wurden in den vergangenen fünf Jahren laut dem aktuellen Bürgerbegehrensbericht jährlich rund 300 Volksentscheide auf kommunaler Ebene gestartet. Im vergangenen Jahr sei deren Zahl auf 245 gesunken, sagte Ralf-Uwe Beck vom Verband Mehr Demokratie am Donnerstag bei der Online-Vorstellung des Berichts 2023. Das sei vermutlich auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, die unter anderem das Sammeln von Unterschriften erschwerte.
Bayern und Baden-Württemberg belegen im bundesweiten Ranking von Volksentscheiden demnach die ersten Plätze. Die Hälfte aller Verfahren habe sich zwischen 1956 und 2022 auf die beiden Bundesländer konzentriert, hieß es. In Bayern wurden demnach 40 Prozent (3.485) und in Baden-Württemberg etwa zwölf Prozent (1.105) aller Verfahren ausgelöst.
Die Plätze dahinter belegen Nordrhein-Westfalen mit 943, Schleswig-Holstein mit 591 und Hessen mit 524 Verfahren. Schlusslichter sind das Saarland und Bremen mit 17 beziehungsweise elf Verfahren. Das Gefälle zwischen den Ländern führt Mehr Demokratie auf die unterschiedlichen Regelwerke zurück, die bürgerschaftliches Engagement erleichtern oder erschweren.
Mehr Demokratie-Bundesvorstandssprecher Beck nannte etwa Sachsen ein „Problemland“. Dort seien die Hürden für Volksentscheide im Bundesvergleich am höchsten. Er begrüßte, dass Nordrhein-Westfalen zuletzt Transparenzpflichten bei Zuwendungen von Dritten für Bürgerbegehren einführte. Die Quoren für die Gültigkeit von Volksentscheiden müssten jedoch gesenkt oder abgeschafft werden, forderte Beck.
Mit Sorge beobachtet der Verein die jüngste Entwicklung in Schleswig-Holstein. Dort schränkten neue, von der schwarz-grünen Koalition beschlossene Regeln seit April Bürgerbegehren ein. Beck kritisierte, damit würden unliebsame Bürgerbegehren unterbunden: „Das ist ein demokratischer Deichbruch.“ Gegen den Abbau von Bürgerrechten habe ein breites Bündnis eine Volksinitiative gestartet.
Ein Themenschwerpunkt der Volksentscheide seien mit 20,1 Prozent Wirtschaftsprojekte, sagte Detlef Sack von der Universität Wuppertal. Dabei gehe es vor allem um den Bau von Einkaufszentren, Hotels, Windparks und Mobilfunkmasten. Ein weiterer Schwerpunt seien mit 19,6 Prozent öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen. Auf Verkehrsprojekte entfielen 16 Prozent der Verfahren.
Zu Klimaschutzfragen fanden demnach zwischen 2013 und 2022 insgesamt 387 Abstimmungen statt. Das waren 13 Prozent der Verfahren. Dabei hatten 76 Prozent das Ziel, Klimaschutz zu beschleunigen. Insbesondere beim Thema Windkraft kam es den Angaben zufolge zu einer Trendumkehr. Zwischen 2013 und 2017 richteten sich 70 Prozent der Bürgerentscheide zu diesem Thema gegen Windkraft. Von 2018 bis 2022 waren hingegen 74 Prozent der Verfahren für Windkraft.
Der Verein Mehr Demokratie gibt alle zwei Jahre in Zusammenarbeit mit dem Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal den Bürgerbegehrensbericht heraus. Seit 1956 gab es demnach insgesamt 8.958 direktdemokratische Verfahren in den Kommunen.