Bad Arolsen (epd). Nach massiven Vorwürfen wegen Mobbings und Machtmissbrauchs gegen die Leitung des NS-Dokumentationszentrums Arolsen Archives äußert der Anwalt Daniel Vogel Zweifel am Aufklärungswillen der Verantwortlichen. Noch hoffe er darauf, dass Konsequenzen aus den von 25 aktiven oder ehemaligen Beschäftigten gesammelten Berichten gezogen würden, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er wisse aber auch, dass Direktorin Floriane Azoulay im Aufsichtsgremium der Einrichtung, dem sogenannten Internationalen Ausschuss, zahlreiche Fürsprecher habe. Parallel prüfe er in einigen besonders drastischen Fällen auch Strafanzeigen.
Die Vorwürfe richteten sich keinesfalls gegen das NS-Dokumentenzentrum, sondern ausschließlich gegen die Französin Azoulay und ihren Stellvertreter Steffen B., betonte Vogel. Am Mittwoch hatte zuerst das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) über ein bereits im März von Vogel zusammengestelltes Dossier an Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) berichtet, das inzwischen auch dem epd vorliegt.
Darin werden Willkür und Demütigungen und ein selbstherrlicher Führungsstil des Spitzenduos beschrieben. Nach Darstellungen von Mitarbeitenden herrscht in der Einrichtung eine „toxische Arbeitsatmosphäre“ und eine „Kultur der Angst“.
„Die Personalfluktuation von über 25 vorzeitig beendeten Arbeitsverträgen von hochqualifizierten und engagierten Menschen seit Amtsantritt der aktuellen Direktion sprechen für sich“, heißt es in dem Bericht an Roth. Mehrere der Beschwerdeführer hätten von Angstzuständen, Schlafstörungen und Panikattacken aufgrund des großen Drucks am Arbeitsplatz berichtet. Eine der Betroffenen schilderte dem epd Versuche der Leitung, sie ohne Beteiligung des Betriebsrats in einen Auflösungsvertrag hineinzupressen.
Ein Schreiben des von den Beschwerdeführern wegen Untätigkeit ebenfalls kritisierten Betriebsrats an Claudia Roth und den Internationalen Ausschuss bestätigt die Einschätzung, vor Ort habe sich „eine Angstkultur etabliert“. Eine unabhängige Anlaufstelle für aktuelle und ehemalige Beschäftigte sei wünschenswert, heißt es in dem Brief, der dem epd ebenfalls vorliegt.
Die Pressesprecherin der Arolsen Archives, Anke Münster, bestätigte, dass sich die Leitung einer externen Untersuchung durch eine Berliner Anwaltskanzlei stellen müsse. Die Arolsen Archives nähmen die anonym erhobenen Vorwürfe sehr ernst. Allerdings sei die Direktion dazu angehalten, nicht zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, bis die laufende Untersuchung abgeschlossen ist.
Der aus den Vertretern von elf Ländern bestehende Internationale Ausschuss habe die Untersuchung in Auftrag gegeben. „Bis zum 5. Juni 2023 können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Rahmen äußern“, sagte die Sprecherin.
Ein Sprecher der Kulturstaatsministerin teilte auf Nachfrage mit, bei einem Besuch von Roth in Bad Arolsen im März sei das kurz zuvor zugesandte Dossier mit den Vorwürfen noch nicht thematisiert worden. Danach sei aber zeitnah eine unabhängige Untersuchung eingeleitet worden. Nach Abschluss des Vergabeverfahrens habe die Berliner Kanzlei am 11. April den offiziellen Auftrag dazu erhalten.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Christiane Schenderlein forderte nach Bekanntwerden der Vorwürfe, das Arbeitsverhältnis der Direktorin müsse mit sofortiger Wirkung so lange ruhen, bis die im Raum stehenden Vorkommnisse aufgeklärt seien, sagte die Kulturpolitikerin.