Berlin (epd). Die geplante Pflegereform ist am Mittwoch im Bundestag bei Sachverständigen und Verbänden vielfach auf Ablehnung gestoßen. Der Reformentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gehe am Bedarf vorbei, und die Finanzierung werde nur kurzfristig stabilisiert, erklärten Sachverständige und Verbände in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses zu dem Gesetzentwurf, der gegenwärtig im Parlament beraten wird.
Die Interessenvertretung pflegender Angehöriger „wir pflegen!“ warf der Bundesregierung eine „systematische Benachteiligung pflegebedürftiger Menschen in der häuslichen Pflege“ vor. Dem Gesetz zufolge sollen die Sachleistungen und das Pflegegeld für die Angehörigen 2024 um fünf Prozent steigen. Sämtliche Sozial- und Angehörigen-Verbände halten diese Steigerung für völlig unzureichend. Die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege und der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisierten, sie gleiche nicht einmal die Inflation aus und komme zu spät. Die geschäftsführende Vorständin von „wir pflegen!“, Edeltraut Hütte-Schmitz, forderte, die Leistungen müssten sofort und deutlich erhöht werden.
Eine „besonders kritische Fehlentscheidung“ der Regierung sei es zudem, das angekündigte Entlastungsbudget wieder aus dem Gesetzentwurf gestrichen zu haben, kritisierte der Angehörigen-Verband. Das Entlastungsbudget sollte es pflegenden Familien leichter machen, Vertretungen zu organisieren. Mit vier Fünfteln wird die große Mehrheit der rund fünf Millionen Pflegebedürftigen zu Hause versorgt.
Die Reform dient vor allem dazu, die Pflegeversicherung durch Beitragserhöhungen kurzfristig zu stabilisieren. Die Einnahmen steigen um 6,6 Milliarden Euro im Jahr, in diesem Jahr also noch um die Hälfte. Dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Spitzenverband) zufolge lag das Defizit der Pflegeversicherung Ende 2022 bei 2,2 Milliarden Euro. Hauptgründe sind zusätzliche Corona-Ausgaben, höhere Löhne in der Altenpflege und Preissteigerungen.
Deshalb sollen die Beiträge zum Juli dieses Jahres von 3,05 Prozent des Einkommens auf 3,4 Prozent steigen, für Kinderlose von 3,4 auf vier Prozent. Es wird außerdem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, wonach Eltern mit mehreren Kindern geringere Beiträge zahlen. Der Präsident der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie (eaf), Martin Bujard, verlangte, die Beitragsabschläge pro Kind müssten nicht nur während der Familienphase, sondern lebenslang gewährt werden.
Die Pflege- und Krankenkassen rechneten vor, der Bund schulde der Pflegeversicherung knapp neun Milliarden Euro für Ausgaben, die nicht aus Beiträgen der Versicherten, sondern aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden müssten. Der GKV-Spitzenverband forderte den Bund auf, 5,3 Milliarden Euro Corona-Extra-Ausgaben und weitere 3,5 Milliarden Euro für die Rentenbeiträge pflegender Angehöriger zu übernehmen. Der Verband der Ersatzkassen erklärte, mit dem Geld müssten die dringenden Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen finanziert werden.
Der Verband privater Pflegeanbieter (bpa) kritisierte, Gesundheitsminister Lauterbach unternehme mit dem Gesetz nicht einmal den Versuch, die pflegerische Versorgung zukunftsfest aufzustellen. Zwei Drittel der Pflegeeinrichtungen seien bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.