Köln (epd). Rund zwölf Millionen Mädchen müssen nach Schätzungen des UN-Kinderhilfswerkes Unicef weltweit jährlich eine Kinderehe eingehen. Der Anteil der Mädchen in Kinderehen gehe zwar weltweit zurück, erklärte Unicef Deutschland am Mittwoch in Köln. Krisen, bewaffnete Konflikte, der Klimawandel und die Folgen der Covid-19-Pandemie drohten jedoch „hart erkämpfte Fortschritte zunichte zu machen“.
Der Anteil jungen Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren, die als Kind verheiratet wurden, sei weltweit in den vergangenen fünf Jahren von 21 Prozent auf 19 Prozent zurückgegangen. Insgesamt leben Schätzungen von Unicef zufolge derzeit auf der Welt 640 Millionen Mädchen und Frauen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet wurden.
Die Fortschritte im Kampf gegen Kinderehen müssten laut Unicef 20 Mal schneller sein, um diese Praxis bis zum Jahr 2030 ganz zu beenden. Das ist in den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen festgehalten. Afrika südlich der Sahara sei beim aktuellen Fortschrittstempo sogar mehr als 200 Jahre davon entfernt, Kinderehen abzuschaffen. Das Hilfswerk befürchtet wegen des starken Bevölkerungswachstums und anhaltender Krisen in der Region sogar eine steigende Zahl von Kinderehen - entgegen dem globalen Trend.
In den Regionen Lateinamerika und Karibik, Naher Osten und Nordafrika sowie Osteuropa und Zentralasien stagniere die Entwicklung weitgehend, hieß es weiter. Für den weltweit insgesamt positiven Trend seien hauptsächlich Fortschritte in Südasien verantwortlich. Dennoch leben dort den Angaben zufolge nach wie vor 45 Prozent aller Kinderbräute. So werde in Indien trotz „erheblicher Fortschritte“ immer noch ein Drittel der weltweiten Kinderehen geschlossen. In Indien gibt es damit laut dem Unicef-Report die meisten Kinderehen. Danach folgen Bangladesch, China, Indonesien, Nigeria und Brasilien. Auch Pakistan, Mexiko, Iran und Äthiopien werden genannt.
Die Folgen von Kinderehen hätten Mädchen lebenslang zu tragen, beklagte Unicef. So blieben sie zum Beispiel mit geringerer Wahrscheinlichkeit in der Schule und seien einem höheren Risiko einer frühen Schwangerschaft ausgesetzt. Dies wiederum steigere das Risiko von gesundheitlichen Komplikationen und der Sterblichkeit von Kindern und Müttern.
Konflikte, klimabedingte Katastrophen und die Auswirkungen der Covid-Pandemie verschärfen nach Ansicht des Hilfswerks die „tieferliegenden Ursachen“ von Kinderehen wie steigende Armut, Einbrüche beim Einkommen oder Schulabbrüche. Angesichts von Krisen und Konflikten fühlten sich arme Familien gezwungen, „vermeintliche Sicherheit in Kinderehen zu suchen“, erklärte Unicef-Exekutivdirektorin Catherine Russell. Man müsse sich darauf konzentrieren, „Mädchen in der Schule zu halten und sicherzustellen, dass sie wirtschaftliche Chancen haben“, forderte sie.