Steinmeier: "Nie wieder" bedeutet auch Verantwortung für Ukraine

Steinmeier: "Nie wieder" bedeutet auch Verantwortung für Ukraine
Als erster Deutscher hielt Bundespräsident Steinmeier beim Gedenken an den Ghettoaufstand in Warschau eine Rede. Er bekannte deutsche Verantwortung für die Vergangenheit. Zugleich forderte er ein Bekenntnis der Demokratien zur Hilfe für die Ukraine.
19.04.2023
epd
Von Corinna Buschow (epd)

Warschau (epd). Die Symbolik des Orts ist kaum zu übertreffen, die historische Schuld gewaltig, die derzeitige Situation gespannt: Am Mittwoch durfte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als erster deutscher Repräsentant bei der offiziellen Gedenkfeier in Polen für den Aufstand im Warschauer Ghetto sprechen. Der polnische Präsident Andrzej Duda hatte ihn zum 80. Jahrestag eingeladen, während zwischen den Regierungen von Polen und Deutschland immer wieder um Reparationszahlungen gestritten wird. Und im Nachbarland, der Ukraine, ist wieder Krieg.

Er verneige sich vor den Toten und bitte um Vergebung für die Verbrechen der Deutschen, sagte Steinmeier in seiner Rede und unterstrich die deutsche Verantwortung für die Erinnerung. „Für uns Deutsche kennt die Verantwortung vor unserer Geschichte keinen Schlussstrich“, sagte er, betonte auch, sie bleibe Mahnung und Auftrag in der Gegenwart und in der Zukunft.

Für die Gegenwart formulierte Steinmeier den Wunsch, die Versöhnungsarbeit fortzusetzen. Gemeinsam mit Duda und dem israelischen Präsidenten Izchak Herzog legte er Kränze am berühmten Denkmal für die Helden des Ghettos nieder. Das Werk der Versöhnung zwischen den drei Ländern müsse bewahrt werden, sagte er. Die Versöhnung selbst bezeichnete er als „unendlich kostbares Geschenk“.

In der Rede Steinmeiers fehlte auch der Krieg in der Ukraine nicht, dessen Verurteilung er in den historischen Kontext stellte. „Nie wieder, das bedeutet, dass es in Europa keinen verbrecherischen Angriffskrieg wie den Russlands gegen die Ukraine geben darf“, sagte er. Es bedeute, dass Deutschland gemeinsam mit Polen und anderen Bündnispartnern fest an der Seite der Ukraine stehe. Die liberalen Demokratien seien stark, wenn sie gemeinsam und vereint handelten. „Das meine ich, wenn ich von unserer Verantwortung vor der Geschichte spreche“, sagte das deutsche Staatsoberhaupt.

Auch der Vorsitzende des Internationalen Auschwitz Komitees, Marian Turski, zog eine Verbindung zwischen dem Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten und den heutigen Kämpfen in der Ukraine. Dem Hass zu widerstehen bedeute, heute Nein zu sagen zur Verletzung der Menschenrechte und zur Besetzung des Bodens des Nachbarn, sagte der Holocaust-Überlebende.

Polens Präsident Duda würdigte in seiner Rede den Mut der Widerstandskämpfer im Warschauer Ghetto und an anderen Orten. Man dürfe nie den Mut und die Tapferkeit der Juden im Warschauer Ghetto vergessen, sagte Duda. Israels Präsident Herzog sagte: „Der menschliche Geist hat hier gewonnen.“

Als die Nationalsozialisten am 19. April 1943 die letzten Bewohner des jüdischen Ghettos in Warschau in die Vernichtungslager deportieren wollten, wehrten sich die Menschen des abgeriegelten Gebiets. Vier Wochen konnten sie den Widerstand aufrechterhalten, bevor das Ghetto vollständig von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Rund 56.000 Menschen wurden bei den Kämpfen getötet oder wurden deportiert.

An die Kämpfer und Opfer des Ghettos erinnert heute in Warschau ein Mahnmal, vor dem der frühere Bundeskanzler Willy Brandt 1970 auf die Knie fiel. Bilder davon gingen um die Welt und als wichtige Versöhnungsgeste in die Geschichte ein. Nach der Gedenkfeier wollte Steinmeier am späten Mittwochnachmittag einen Gedenkgottesdienst in einer Synagoge in Warschau besuchen.