Soziologe: Pflegekräfte müssen Verhältnis zu Gepflegten definieren

Soziologe: Pflegekräfte müssen Verhältnis zu Gepflegten definieren

Bremen (epd). Pflegekräfte machen sich nach Ansicht des Bremer Soziologen Hans-Jürgen Wilhelm die Art ihrer Beziehung zu den Bewohnern im Pflegeheim zu wenig bewusst. „Nach meiner Erfahrung tun sich Pflegeteams mit Supervision und anderen Instrumenten zur Reflexion ihrer Arbeit sogar richtig schwer, selbst wenn sie ihnen angeboten werden“, sagte der Geschäftsführer der Dienste für Senioren und Pflege der diakonischen Stiftung Friedehorst dem Bremer „Weser Kurier“ (Samstag).

„Dass die Beziehung zu den Pflegebedürftigen ein nicht ganz unwesentlicher Faktor ihrer Arbeit ist und die Qualität von Pflege maßgeblich beeinflusst, führt eben nicht automatisch zu einem professionellen Umgang mit diesem Faktor“, sagte Wilhelm. Bei kaum einer anderen Tätigkeit werde die zwischenmenschliche Distanz so aufgehoben wie in der Pflege, erläuterte der Soziologe, der die Beziehung zwischen Pflegekräften und Pflegebedürftigen erforscht hat.

Eine Pflegekraft sei schnell in intimer Nähe zum Gepflegten, nicht nur körperlich. „Sie erfährt meistens viel Privates aus der Lebensgeschichte, lernt Vorlieben und Abneigungen kennen, wie es in partnerschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen typisch ist.“ Allerdings werde die Art der Beziehung im Alltag fast nie definiert.

„Rein formal betrachtet haben wir ein Verhältnis von Kunde und Dienstleister“, sagte Wilhelm. „Andererseits ist die pflegebedürftige Person auf die Zuwendung durch die Pflegekraft unter Umständen existenziell angewiesen. Die eine Seite ist überspitzt gesagt hilflos, die andere Seite der Retter.“ Dies entspreche aber nicht dem Selbstbild der meisten Pflegekräfte. Diese beschrieben vielmehr ihr Verhältnis zu den Bewohnern im Pflegeheim häufig als zeitlich begrenzte freundschaftliche Beziehung. „Aber das scheitert früher oder später, weil es ein unerfüllbarer Anspruch ist.“