Tunesien weist europäische Gewerkschaftsführerin aus

Tunesien weist europäische Gewerkschaftsführerin aus

Tunis, Sfax (epd). Nach der Teilnahme an einer Demonstration hat die tunesische Regierung die Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Esther Lynch, zur unerwünschten Person erklärt. Lynch habe 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen, hieß es in einer am Samstagabend auf Facebook veröffentlichten Erklärung des Präsidialamtes. Zuletzt waren in dem zunehmend autoritär regierten Land mehrere Regierungskritiker und Oppositionelle festgenommen worden.

Lynch hatte am Samstag an einer Demonstration des tunesischen Gewerkschaftsbundes UGTT in der Küstenstadt Sfax teilgenommen. In einer Rede vor mehreren tausend Personen rief sie tunesischen Medien zufolge zum Respekt für die Beschäftigten auf. Demnach sprach sie sich auch für Verhandlungen der tunesischen Regierung mit der Gewerkschaft aus. Das Präsidialamt bezeichnete dies als „inakzeptable Einmischung“ in die inneren Angelegenheiten.

Sami Tahri, Sprecher der UGTT, erklärte gegenüber der Zeitung „Assabah“, Lynch sei am Abend von Sicherheitskräften daran gehindert worden, ihre Unterkunft zu verlassen. Sie habe unabhängig von der Ausweisung am Sonntag ausreisen wollen. Laut dem Europäischen Gewerkschaftsbund war Lynch Teil einer Delegation internationaler Gewerkschaftsvertreter, die zur Unterstützung des tunesischen Verbandes angereist waren.

Der 2019 gewählte Präsident Kais Saied regiert Tunesien zunehmend autoritär. Er hatte im Juli 2021 in einer rechtlich umstrittenen Form den Notstand ausgerufen. Seitdem hat er unter anderem das Parlament aufgelöst und regiert weitestgehend per Dekret. Im Sommer 2022 hat er in einem Referendum eine neue Verfassung verabschieden lassen. Seit dem vergangenen Wochenende wurden in Tunesien mindestens neun prominente Personen, darunter oppositionelle Politiker, Richter sowie ein Geschäftsmann und ein Radiodirektor verhaftet.

Der tunesische Gewerkschaftsbund hatte mit drei weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Initiative ins Leben gerufen, um in der aktuellen politischen Krise eine Verhandlungslösung zu finden. Präsident Saied ging darauf bisher nicht ein.