München (epd). Der Philosoph Jürgen Habermas hat in der Debatte über die militärische Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg für baldige Verhandlungen plädiert. Gerade weil der Satz richtig sei, die Ukraine dürfe den Krieg nicht verlieren, wolle er sich den Forderungen nach Verhandlungen anschließen, heißt es in einem Gastbeitrag des 93-Jährigen in der „Süddeutschen Zeitung“ (Mittwoch).
Habermas schreibt: „Mir geht es um den vorbeugenden Charakter von rechtzeitigen Verhandlungen, die verhindern, dass ein langer Krieg noch mehr Menschenleben und Zerstörungen fordert und uns am Ende vor eine ausweglose Wahl stellt: entweder aktiv in den Krieg einzugreifen oder, um nicht den ersten Weltkrieg unter nuklear bewaffneten Mächten auszulösen, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen.“
Der Philosoph und Soziologe betonte, auch die westlichen Regierungen, die die Ukraine bisher mit Waffenlieferungen unterstützen, hätten die Möglichkeit, sich für Verhandlungen einzusetzen. Zwar sei es einerseits trivial, dass nur eine am Krieg beteiligte Partei über ihr Kriegsziel und gegebenenfalls über den Zeitpunkt von Verhandlungen bestimmen könne. Andererseits jedoch hänge es auch von der Unterstützung des Westens ab, wie lange die Ukraine überhaupt durchhalten könne, schreibt Habermas.
Der Westen habe eigene legitime Interessen und Verpflichtungen. So operierten die westlichen Regierungen in einem weiteren geopolitischen Umkreis und müssten andere Interessen berücksichtigen als die Ukraine. Westliche Regierungen hätten zudem rechtliche Verpflichtungen gegenüber den Sicherheitsbedürfnissen der eigenen Bürger und trügen auch eine moralische Mitverantwortung für Opfer und Zerstörungen, die mit Waffen aus dem Westen verursacht werden. Daher, betont Habermas, könnten die Regierungen auch die Verantwortung „für die brutalen Folgen einer nur dank ihrer militärischen Unterstützung möglichen Verlängerung des Kampfgeschehens nicht auf die ukrainische Regierung abwälzen“.
Es seien vor allem moralische Gründe, die auf ein Ende des Krieges drängten. Opfer und Zerstörungen des Krieges führten dazu, dass der Krieg nicht nur „Mittel der Verteidigung gegen einen skrupellosen Angreifer“ sei, sondern als „die zermalmende Gewalt“ erfahren werde, „die so schnell wie möglich aufhören sollte“.
Jürgen Habermas, geboren am 18. Juni 1929 in Düsseldorf, lehrte 25 Jahre als Professor für Philosophie und Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und gilt als bekanntester Vertreter der Kritischen Theorie in der Generation nach Theodor Adorno und Max Horkheimer. Zu seinen Hauptwerken zählen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962) und „Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981).