Herzchirurg: Jüngere beschäftigen sich ungern mit dem Tod

Herzchirurg: Jüngere beschäftigen sich ungern mit dem Tod

Hamburg (epd). Einer der Gründe für die geringe Bereitschaft der Deutschen zur Organspende ist nach Einschätzung des Hamburger Herzchirurgen Hermann Reichenspurner eine Generationenfrage. „Jüngere Menschen beschäftigen sich ungern mit dem Tod“, sagte der Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Er merke das bei seinen Medizinstudentinnen und -studenten: „Rede ich mit denen darüber, wird das Thema schnell abgebügelt. Die genießen einfach das Leben und denken nicht an den Tod.“

„Wenn jemand stirbt, müssen meistens Angehörige darüber entscheiden, ob Organe entnommen werden dürfen. Zwar gehört das UKE zu den Top-Entnahme-Kliniken in Deutschland, aber die Ablehnungsquote liegt hier trotzdem bei rund 50 Prozent“, sagte der Mediziner. „Es helfen da übrigens auch keine Broschüren von der Krankenkasse über Organspende - die landen im Mülleimer“, ergänzte Reichenspurner, der nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr am UKE 22 Herzen transplantiert hat. Ein Jahr zuvor seien es noch 31 gewesen.

Im vergangenen Jahr war die Zahl der Organspender in Deutschland nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation um 6,9 Prozent zurückgegangen. 869 Menschen spendeten nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe, das waren 64 weniger als im Vorjahr. Insgesamt wurden demnach 2.662 Organe für eine Transplantation gemeldet. Im Vorjahr (2021) waren es 2.905.

Reichenspurner kritisierte die geltende gesetzliche Regelung der Organspende, die sogenannte erweiterte Entscheidungslösung. Demnach dürfen Organe nach dem Tod nur dann entnommen werden, wenn ein Verstorbener dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen nach einer Entscheidung gefragt. In regelmäßigen Abständen bekommen Bürgerinnen und Bürger Informationsmaterial zugesandt, die sie bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützen sollen.

„Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben gleich gedacht, dass das nichts bringt“, sagte Reichenspurner. Es habe sich nichts geändert, „außer, dass Geld für Infoschreiben ausgegeben worden ist“. Der Mediziner sprach sich für eine Widerspruchslösung bei der Organspende aus, nach der jeder potenzieller Organspender wird, der das zu Lebzeiten nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Reichenspurner verwies darauf, dass es in Österreich, wo es eine solche Regelung gibt, 25 Organspender auf eine Million Einwohner gebe. In Deutschland seien es nur neun Organspender pro eine Million Einwohner.

Anfang 2020 hatte der Bundestag über die Neuregelung der Organspende entschieden. Die vom damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) favorisierte Widerspruchslösung fand keine Mehrheit im Parlament.