Mainz (epd). Die Staatsanwaltschaft Koblenz führt bei ihren Ermittlungen zur Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 unverändert lediglich den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler und ein weiteres Mitglied seines damaligen Krisenstabs als Beschuldigte. Neben einem möglichen Fehlverhalten der Verantwortlichen auf Kreisebene seien in den vergangenen Monaten auch die Rolle der rheinland-pfälzischen Aufsichtsbehörde ADD und ihres Präsidenten Thomas Linnertz sowie die Vorgänge in der Lebenshilfe-Behinderteneinrichtung in Sinzig intensiv untersucht worden, erklärte der Koblenzer Generalstaatsanwalt Harald Kruse am Freitag im Ahrtal-Untersuchungsausschuss. Wann die Ermittlungen abgeschlossen sein werden, könne er noch nicht abschätzen.
„Dieses Verfahren ist in strafrechtlicher Hinsicht alles andere als trivial“, warb Kruse um Verständnis für die lange Ermittlungsdauer. „Wir führen dieses Verfahren seit dem ersten Tag wirklich mit einem riesigen Nachdruck.“
Die Behinderteneinrichtung, in der zwölf Bewohnerinnen und Bewohner ums Leben kamen, wurde laut Kruse in der Unglücksnacht offenbar zweimal von der Feuerwehr gewarnt. Insbesondere über die Details der ersten Warnung kurz vor 23 Uhr gebe es allerdings widersprüchliche Angaben. Ein Feuerwehrmann habe angegeben, er habe zur Evakuierung des Hauses aufgerufen, was die damalige Nachtwache der Einrichtung bestreite. Bislang fehle ein hinreichender Anfangsverdacht, um auch gegen Verantwortliche in der Lebenshilfe oder gegen örtlich zuständige Feuerwehrleute zu ermitteln.
Seit dem Herbst hätten die Ermittler zudem nach Bekanntwerden der Aufnahmen eines Polizeihubschraubers geprüft, welche Kenntnisse zum Ausmaß der Katastrophe auf Landesebene vorlagen. Das Land Rheinland-Pfalz steht seit Langem in der Kritik, weil es nicht sofort die Einsatzleitung vom hoffnungslos überforderten Landkreis übernommen hatte.
Gegen den früheren Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und dessen ehrenamtlichen Brand- und Katastrophenschutzinspekteur laufen Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen. Die Ermittlungen sind nach Aussage der Staatsanwaltschaft extrem umfangreich und kompliziert. Nach Angaben von Oberstaatsanwältin Ute Adam-Backes, die ebenfalls als Zeugin im Ausschuss aussagte, umfassen die Untersuchungsakten inzwischen 44 Bände mit rund 9.000 Seiten, zusätzlich diverse Sonderbände mit Notrufen und Videos.
In der Ausschusssitzung sagten am Freitag außerdem einige der ehrenamtlichen Helfer aus, die in den ersten Tagen nach der Flutkatastrophe ins Tal aufgebrochen waren. Der Bauunternehmer Marcus Zintel schilderte, wie er mit mehreren Tiefladern begann, die zerstörte Bundesstraße im Tal provisorisch wieder aufzubauen. Da er anfangs niemanden im zuständigen Landesbetrieb Mobilität (LBM) erreichen konnte, habe er mit seinen Unterstützern mehrere Tage lang „einfach drauflosgebaut“.
Auch der Landwirt Markus Wipperfürth beschrieb ein Organisationschaos in der ersten Zeit nach der Flut. Viele Ehrenamtliche seien mit ihren Treckern oder Radladern zum Helfen ins Tal gekommen, ohne dort irgendwelche Hilfe durch Fachleute zu erhalten. „Wir hatten kein Frischwasser, kein Brauchwasser, keinen Diesel mehr“, sagte er. Auch mit traumatisierenden Erlebnissen wie dem Auffinden von Leichen oder Leichenteilen seien die Helfer zunächst alleingelassen worden. Hilfseinsätze seien mit örtlichen Feuerwehrkräften oder Unternehmern koordiniert worden. Später habe auch die Kooperation mit der Bundeswehr gut funktioniert.
Die Starkregenkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli hatte allein im Ahrtal mindestens 134 Menschen das Leben gekostet.