Berlin (epd). Wegen des sich abzeichnenden Personalmangels stellt der Deutsche Städte- und Gemeindebund den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule infrage. Er werde zum vorgesehenen Zeitpunkt nicht flächendeckend umgesetzt werden können, sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbands, Uwe Brandl (CSU), am Mittwoch in Berlin. Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums erklärte dazu, es wäre unverantwortlich, die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen auszusetzen oder aufzuschieben.
Laut Städte- und Gemeindebund fehlen die für die Umsetzung des Rechtsanspruchs erforderlichen Erzieherinnen und Erzieher, sie könnten auch nicht kurzfristig eingestellt werden. „Es wird zu Mangelsituationen kommen“, sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Brandl. Der CSU-Politiker, der auch erster Bürgermeister der Stadt Abensberg (Bayern) ist, regte an, den Rechtsanspruch gegebenenfalls auszusetzen. Er nütze Eltern nichts, wenn er nicht umgesetzt werden könne.
Eine Sprecherin des Familienministeriums erklärte indes, die Ganztagsbetreuung in der Grundschule sei „unverzichtbarer Bestandteil einer modernen Arbeits- und Lebenswelt“. Kinder und ihre Familien seien dringend auf gute und sichere Tagesbetreuung angewiesen sind. Für erwerbstätige Mütter und Väter sei sie ebenso unverzichtbar wie für die Unternehmen, die jede Fachkraft brauchen.
Es sei klar, dass das fehlende Personal für die Ganztagsbetreuung die Verwaltungen vor Ort vor große Herausforderungen stelle, erklärte die Sprecherin. „Dennoch sollten jetzt alle Verantwortlichen gemeinsam daran arbeiten und alles dafür tun, kurz- und mittelfristig die benötigten Fachkräfte zu gewinnen und zu halten“, sagte sie. Nach Angaben des Ministeriums sind bereits 70 Prozent der Grundschulen in Deutschland Ganztagsschulen.
Bund und Länder hatten sich 2021 darauf geeinigt, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 schrittweise einzuführen - zunächst nur für die erste Klassenstufe, dann schrittweise für jede weitere. Ab 2029 soll der Anspruch für alle Kinder bis zur vierten Klasse gelten.
Brandl räumte ein, dass die Schwierigkeiten regional unterschiedlich groß sind. Während in den ostdeutschen Bundesländern Grundschüler schon oftmals ganztägig betreut würden, müsse Bayern erhebliche Anstrengungen unternehmen, um den Anspruch zu erfüllen. Nach seinen Angaben ist nicht nur die Personalsituation ein Problem für die Kommunen, sondern auch die Verfügbarkeit von Flächen und die gestiegenen Baukosten. Der politische Wille, den Anspruch zu erfüllen, sei vorhanden. Man werde es aber beim besten Willen nicht schaffen, sagte der CSU-Politiker.
Bei einer Pressekonferenz zum Rückblick auf das vorherige und einen Ausblick auf das kommende Jahr bezeichnete der Präsident des Spitzenverbands zudem die Flüchtlingssituation als große Herausforderung für die Kommunen. Sie seien an ihrer Belastungsgrenze angekommen, sagte Brandl. Er forderte von Bund und Ländern größere Anstrengungen zur Integration der Geflüchteten aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt.