Göttingen (epd). Der Soziologe Berthold Vogel kann den Alltagsverdruss vieler Bürger angesichts von Zugausfällen, Notstand im Gesundheitswesen und Fachkräftemangel nachvollziehen. „Die Menschen machen häufig die sehr gegenwärtige Erfahrung, dass sie in Infrastrukturen leben, die verschlissen oder nicht mehr funktionstüchtig sind“, sagte der Leiter des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das ist zum Teil einer reichen Gesellschaft wirklich nicht würdig.“
Ursache für die Missstände sind Vogel zufolge vor allem fehlende Investitionen. Das gelte für die Bahn und das Schienennetz ebenso wie für das Gesundheitswesen und die Rettungsdienste sowie den baulichen Zustand von Schulen, Gerichtsgebäuden und Verwaltungen. Die fehlenden Investitionen machten sich nicht nur in der Infrastruktur bemerkbar, sondern auch darin, dass der öffentliche Sektor als Arbeitsplatz immer unattraktiver werde, sagte Vogel. „Egal wo wir in unseren Studien fragen, ob in Pflege, Rettungsdienst, Schulen oder Verkehrsbetrieben, der Tenor der Mitarbeiter lautet: Wir sind überlastet und müssen unter widrigen Bedingungen arbeiten.“
Dabei seien es die genannten Arbeitsfelder, die in besonderem Maße für Gesundheit, Bildung, Recht und Teilhabe sorgten und damit die Gesellschaft zusammenhielten. „Wir haben uns den leichtfertigen Luxus erlaubt, öffentliche Infrastrukturen zu lange zu vernachlässigen und den Menschen, die öffentliche Berufe ausüben, keine Aufmerksamkeit zu schenken“, sagte Vogel.
Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und Zukunftsherausforderungen zu meistern, ist es Vogel zufolge wichtig, soziale Orte zu schaffen und zu stärken. „Orte, an denen Menschen sich für ihre Nachbarschaft, ihr Dorf, ihr Stadtquartier, ihre Region engagieren - sei es in genossenschaftlichen Aktivitäten gegen Leerstand, Initiativen für bessere Mobilität, in Flüchtlingsprojekten, in der Nachbarschaftshilfe oder bei den Tafeln“, erklärte Vogel. Durch Engagement dieser Art könne demokratischer Zusammenhalt auch dort wachsen, wo die sozialen Verhältnisse schwierig sind.