Abschied von Mevlüde Genç: Totengebet am Ort des Solinger Anschlags

Abschied von Mevlüde Genç: Totengebet am Ort des Solinger Anschlags
Ein aufgebahrter Sarg, Kränze und ein islamisches Totengebet: Mit einem stillen Gedenken nehmen in Solingen Hunderte Abschied von Mevlüde Genç - an dem Ort, der ihr Leben und das ihrer Familie für immer veränderte.

Solingen (epd). Am Ort des ausländerfeindlichen Brandanschlags von 1993 in Solingen haben am Dienstag knapp 1.000 Menschen Abschied von Mevlüde Genç genommen, die am Sonntag im Alter von 79 Jahren gestorben war. Angehörige, Bekannte und Freunde sowie Spitzenvertreter der Stadt und des Landes NRW versammelten sich zu einem islamischen Totengebet für die Solinger Friedensbotschafterin. Anschließend wurde der Sarg in einen Kleinbus verladen und sollte umgehend in die Türkei gebracht werden, wo die Verstorbene in ihrem Geburtstort Mercimek neben ihren dort bestatteten Kindern beigesetzt werden soll.

Mevlüde Genç hatte zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verloren, als vier junge Neonazis am 29. Mai 1993 ihr Haus in der Unteren Wernerstraße in Solingen in Brand steckten, 17 Angehörige wurden verletzt. Dennoch setzte sie sich danach für Toleranz und Versöhnung ein, nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an und wurde zu einer in Deutschland, aber auch international anerkannten Stimme für ein friedliches Miteinander der Kulturen und Religionen. Die Täter wurden 1995 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte nach der Zeremonie, Mevlüde Genç habe den Menschen in Solingen und ganz Deutschland sehr schnell die Hand der Versöhnung gereicht. Dies habe einen enormen Einfluss auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehabt. An den Witwer Durmus Genç gewandt sagte Wüst, die große Anteilnahme zeige die Bedeutung seiner Frau Mevlüde, die viel Kraft für das Gute in ihrem Herzen gehabt habe, für die Menschen in Deutschland.

Der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) erinnerte an den immer und immer wieder geäußerten Leitspruch von Mevlüde Genç, den sie auch gelebt habe: „Lasst uns Freunde sein.“ Kurzbach versprach, die Erinnerung an den Brandanschlag „hochzuhalten, damit nichts und niemand vergessen wird“. Zu den Gästen des Trauergebets gehörten auch die stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur und Integrationsministerin Josefine Paul (beide Grüne).

Nach Angaben der Stadt versammelten sich fast tausend Menschen gegenüber dem Grundstück in der Unteren Wernerstraße, auf dem einst das Wohnhaus der Familie Genç stand, die Polizei sprach von rund 800 Teilnehmern. Vor der Plakette, die an die fünf Todesopfer erinnert, wurden mehr als ein Dutzend Kränze und Gestecke unter anderem von der Landesregierung und vom NRW-Landtag niedergelegt. Familienangehörige trugen den Sarg auf ein Podest, wo er nach Osten ausgerichtet wurde, eher der Imam mit dem Totengebet begann. Der Veranstaltungsort war bereits Stunden vorher weiträumig abgesperrt worden.

Mevlüde Genç wurde für ihr Engagement 1996 mit dem Bundesverdienstkreuz und 2015 mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt. Seit 2019 verleiht das Land NRW jährlich einen nach ihr benannten Toleranzpreis, die mit 10.000 Euro dotierte Mevlüde-Genç-Medaille. Am Mittwoch will der Düsseldorfer Landtag der Verstorbenen mit einer Schweigeminute gedenken.