Solingen, Berlin (epd). Zum Tod von Mevlüde Genç hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kondoliert und ihre Verdienste gegen Hass gewürdigt. „Unser Land hat eine große Versöhnerin verloren“, erklärte Steinmeier am Montag und zitiert aus einem Kondolenzschreiben an den in der Türkei lebenden Witwer Durmus Genç. Der Bundespräsident spricht von einer Botschafterin des friedlichen Miteinanders in ihrer Heimatstadt Solingen und in ganz Deutschland. Am Sonntag war Genç im Alter von 79 Jahren gestorben.
Mevlüde Genç, die durch einen Brandanschlag von Rechtsextremen auf ihr Wohnhaus in Solingen 1993 fünf Verwandte verlor, habe vor Augen geführt, dass Nächstenliebe und Menschlichkeit stärker seien als Hass und Gewalt, erklärte Steinmeier. Sie habe um ihre Töchter und Enkel geweint und ihren überlebenden Kindern jeden Tag Kraft und Zuversicht gegeben.
Auch der Vorsitzende des Landesintegrationsrates NRW, Tayfun Keltek, würdigte Genç für ihr Engagement für ihre Familie und für ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft. „Sie bekämpfte den Hass und setzte statt Rache auf Versöhnung“, erklärte Keltek. Sie sei nicht nur eine großartige Mutter und Frau gewesen, „sondern auch eine Friedensbotschafterin, die ihresgleichen suchte“.
Keltek, der das Ehepaar Genç nach eigenen Angaben im vergangenen Sommer in der Türkei besucht hatte, betonte, dass Mevlüde Genç an den Veranstaltungen in Solingen zum 30. Jahrestag des Brandanschlags teilnehmen wollte. Ihr sei es wichtig gewesen, dass kein Hass gesät werden dürfe und Menschen in Frieden zusammenleben müssten, betonte Keltek. Das habe sie vor allem der jüngeren Generation vermitteln wollen.
Mit einer Trauerfeier am Dienstag gedenken die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und die Stadt Solingen der Verstorbenen. Um 14 Uhr werde am ehemaligen Haus der Familie ein Imam am aufgebahrten Sarg ein Trauergebet sprechen, hieß es in einer am Montag von der Ditib verbreiteten Einladung. Wie die Stadt Solingen dem Evangelischen Pressdienst (epd) sagte, werden keine politischen Vertreter sprechen.
Am 29. Mai 1993 hatten vier junge Neonazis das Haus angezündet. Mevlüde Genç überlebte, verlor aber zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte. Dennoch setzte sie sich danach für Versöhnung und interkulturellen Dialog ein. Genç wird nach Angaben des Landesintegrationsrates in der Türkei neben ihren Kindern in Mercimek bestattet.
Für ihr Engagement wurde Mevlüde Genç 1996 mit dem Bundesverdienstkreuz und 2015 mit dem Verdienstorden des Landes NRW geehrt. Seit 2019 verleiht NRW jährlich einen nach ihr benannten Toleranzpreis, die mit 10.000 Euro dotierte Mevlüde-Genç-Medaille. Der NRW-Landtag plant, der Verstorbenen am kommenden Mittwoch mit einer Schweigeminute zu gedenken.
Bei dem Brandanschlag wurden auch weitere Mitglieder der Familie schwer verletzt und leiden zum Teil noch heute an den Folgen. 1995 nahm Mevlüde Genç die deutsche Staatsbürgerschaft an und wurde zu einer Symbolfigur für Verständigung und Toleranz. Im Gespräch mit dem epd nannte sie kurz vor ihrem 70. Geburtstag ihren muslimischen Glauben als Motivation für ihr Engagement. Sie beziehe ihre Stärke aus ihrer Beziehung zu Gott und aus dem Wunsch, Vorbild zu sein für gegenseitige Achtung und Nächstenliebe.