Studie zu Kindesmissbrauch im Sport: Leiden ein Leben lang

Studie zu Kindesmissbrauch im Sport: Leiden ein Leben lang
Erstmals dokumentiert eine Studie umfassend sexualisierte Gewalt gegen Kinder in Sportvereinen. Die Betroffenen stießen in ihren Vereinen meist auf taube Ohren und fanden keine Hilfe. Viele leiden ihr ganzes Leben unter der erlebten Gewalt.

Berlin (epd). Fachleute zeigen sich erschüttert über das Leid der Opfer von sexualisierter Gewalt im Sport. Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat am Dienstag in Berlin die nach ihrer Darstellung bisher größte Studie zu diesem Thema vorgestellt. Grundlage sind 72 Erfahrungsberichte von Betroffenen. „Die Berichte sind erschütternd“, bilanzierte die Kommission. Die Folgen sexualisierter Gewalt seien für die Betroffenen „ein Leben lang unglaublich einschneidend“, sagte Heiner Keupp, Münchner Sozialpsychologe und Mitglied der Aufarbeitungskommission.

Die meisten Betroffenen wurden der Studie zufolge körperlich missbraucht, oft jahrelang. Gemeinsam ist den Opfern demnach, dass ihnen als junge Menschen nicht zugehört, nicht geglaubt, nicht geholfen wurde und sie dadurch ins Schweigen verfielen.

„Die Berichte von Betroffenen lassen ein Bild vom Sport entstehen, das nicht zu dessen allgemein verbreitetem positiven Image passen mag“, heißt es in der Studie. Gerade die positive Erzählung des Sports mache es Betroffenen schwer, für ihr im Sport erfahrenes Unrecht und Leid Aufmerksamkeit und Hilfe zu erhalten, sagte die leitende Autorin der Studie, die Kölner Sportsoziologin Bettina Rulofs.

Sexueller Kindesmissbrauch kommt, so die Studie, insbesondere im organisierten Vereinssport vor, seltener im Freizeit- und Schulsport. Insbesondere die Strukturen im Leistungssport und wettkampforientierten Breitensport machten sexuellen Kindesmissbrauch möglich. Die Täter stammten vorwiegend aus dem direkten oder nahen Umfeld und seien männliche Trainer, Betreuer oder Lehrer.

Die Berichte der Missbrauchsopfer „geben bemerkenswerte Einblicke in die sozialen und kulturellen Strukturen des Systems und der Organisationen des Sports, die den Tatpersonen die Ausübung sexualisierter Gewalt ermöglichten und dabei halfen, die Taten zu verdecken“, heißt es in der Studie weiter. Diese „besonders riskanten Strukturen“ lieferten für die Prävention sexualisierter Gewalt und den Kinderschutz im Sport wichtige Anhaltspunkte.

Fast ein Fünftel der ausgewerteten Berichte bezieht sich auf sexualisierte Gewalt im Rahmen des Sports in der DDR. Zu diesem Bereich lägen bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vor. In der Untersuchung werde deutlich, dass die Kinder den Gewalthandlungen schutzlos ausgeliefert gewesen seien.

Die Studie liefert auch Erkenntnisse darüber, welche Erfahrungen Betroffene in den Organisationen des Sports gemacht haben, wenn sie die dort erfahrene Gewalt offenlegten: Betroffene erlebten häufig, dass ihre Erfahrungen verneint, bagatellisiert und verschleiert worden seien. „Darum braucht es ein gesetzlich verankertes Recht von Betroffenen auf Aufarbeitung“, sagte Kommissionsmitglied Keupp.

Darüber hinaus fordert die Kommission eine breite und fortwährende Sensibilisierung aller Akteure und Akteurinnen für sexualisierte Gewalt, für riskante Strukturen des Sports und für Täterstrategien. Zudem brauche es vertrauenswürdige und kompetente Ansprechstellen, die unabhängig von den Vereins- und Verbandsstrukturen seien.

Keupp erkannte die Pläne der Ampel-Koalition an, die Aufarbeitung zu verstetigen und hierfür einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen. Er forderte als festen Bestandteil eines solchen Gesetzes für Betroffene ein verbindliches Recht zur Aufarbeitung.

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, sagte in einer Reaktion, der organisierte Sport müsse „endlich begreifen, dass es sich nicht um Einzelfälle sexualisierter Gewalt oder ein Problem weniger Vereine handelt“. Die Studie zeige erneut, wie wichtig es sei, die Perspektive Betroffener einzubeziehen, um zu verstehen, welche Faktoren Missbrauch in der Vergangenheit begünstigt hätten und wie Kinder und Jugendliche besser geschützt werden könnten.