Hamburg, Köln (epd). Im Zusammenhang mit Missbrauchsvorwürfen gegen den ehemaligen „Sternsinger“-Chef Winfried Pilz gibt es nach Medienrecherchen im Erzbistum Köln neue Hinweise auf die Rolle von Erzbischof Rainer Maria Woelki. Die „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ und der Deutschlandfunk berichteten am Mittwoch über einen Einladungsbrief von Woelkis Büroleitung an einen Missbrauchsbetroffenen. Dieser lasse den Eindruck zu, dass Erzbischof Woelki möglicherweise doch früher mit mutmaßlichen Missbrauchstaten des katholischen Pfarrers Winfried Pilz befasst war, als er es in einer eidesstattlichen Erklärung versichert habe. Das Erzbistum sieht dem Bericht zufolge keinen Widerspruch zwischen den gemachten Angaben und dem Einladungsschreiben.
Woelki hatte im Zusammenhang mit einem presserechtlichen Verfahren im August versichert, erst ab der vierten Juniwoche mit dem Fall Pilz befasst worden zu sein. „Christ & Welt“ verweist nun auf die Einladung des Erzbistums an einen Betroffenen vom 6. Mai, worin Kardinal Woelki dem Betroffenen einen Terminvorschlag für ein Gespräch machte; an diesem Termin werde auch ein Mitarbeiter aus der für Missbrauchsfälle zuständigen Interventionsstelle teilnehmen, hieß es in der Mail.
Dem mutmaßlichen Opfer soll vom ehemaligen Sternsinger-Präsidenten Winfried Pilz sexualisierte Gewalt angetan worden sein. Pilz, der auch lange Jahre Präsident des katholischen Kindermissionswerks „Die Sternsinger“ war, leitete zuvor von 1972 bis 1989 die renommierte Jugendbildungsstätte Haus Altenberg in der Nähe von Köln. Lange galt er als führende Figur in der Jugendseelsorge.
Das Erzbistum sieht offenbar keinen Widerspruch zwischen dem Zeitpunkt der versendeten Einladung und der eidesstattlichen Versicherung. „Die von ihnen dargestellten Umstände führten damit nicht zu einer früheren Befassung des Herrn Kardinal Woelki mit Pilz“, zitiert „Christ & Welt“ die erzbischöfliche Pressestelle. Erst in der vierten Juniwoche sei dem Kardinal mitgeteilt worden, dass der eingeladene Betroffene Vorwürfe gegen Pilz erhebe, erklärte das Erzbistum.
Der mutmaßliche Betroffene selbst gab laut „Christ & Welt“ an, er habe sich bereits Ende 2021/Anfang 2022 beim Erzbistum gemeldet. Ein Mitarbeiter der Interventionsstelle des Erzbistums habe ihn angehört. Den Termin mit dem Kardinal habe er zu dem Zeitpunkt nicht wahrnehmen können. Dem Deutschlandfunk und „Christ & Welt“ berichtete der Betroffene, Pilz habe ihn als Leiter des Jugendhauses Altenberg im Bergischen Land betrunken gemacht und vergewaltigt.
Durch die Meldung eines anderen Betroffenen war der Fall Pilz 2013 an die Glaubenskongregation in Rom übergeben worden, die das Verfahren nach Köln zurückverwies. Der beschuldigte Pilz war dann vom Erzbistum unter anderem mit einem Kontaktverbot zu Minderjährigen belegt worden. Im Dezember 2018 wurden die Akten nachträglich der Staatsanwaltschaft übergeben. Pilz starb 2019.
Der Fall Pilz, dem der Missbrauch von Minderjährigen seit den 1970er-Jahren vorgeworfen wird, war auch im Kölner Missbrauchsgutachten aufgeführt, allerdings ohne Namensnennung und Details. Medienberichten zufolge hatte sich der Kardinal eine Tabelle mit den vollständigen Namen von Priestern erstellen lassen, die im Gutachten anonymisiert oder mit Buchstabenkürzeln erwähnt sind. Unklarheiten gibt es offenbar nun zum Kenntnisstand des Kardinals, zu der Namensliste, ihrer Vollständigkeit und zur Frage, warum diese Liste später vernichtet wurde.