Rostock (epd). Zum 30. Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefordert, Konsequenzen aus den damaligen Ereignissen für hitzig geführte Debatten in der Gegenwart zu ziehen. Die Ausschreitungen im August 1992 seien „eine Katastrophe mit Ansage“ gewesen, sagte Steinmeier bei der Gedenkveranstaltung am Donnerstag in der Hansestadt. Die Krawalle „gediehen auf dem Boden einer bis dahin schon teilweise hasserfüllten Debatte“, sagte er. Staat und Zivilgesellschaft müssten daraus Lehren ziehen. Die Schweriner Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warb in ihrem Grußwort für den Einsatz für die Demokratie.
Vom 22. bis zum 26. August 1992 gab es im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen schwere rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Ausschreitungen. Im Verlauf der vier Tage gerieten dabei 150 Menschen in akute Lebensgefahr, nachdem ein Wohnhaus ehemaliger vietnamesischer DDR-Vertragsarbeiter in Brand gesetzt worden war. Mehr als 200 Polizisten wurden verletzt, einer davon schwer.
Der Bundespräsident erinnerte daran, dass bereits vor den Ausschreitungen in Rostock, bei denen durch Brandanschläge auf ein Wohnheim 150 Menschen in akute Lebensgefahr gerieten, Angriffe auf Ausländer stattgefunden hatten. Die Ausschreitungen in Rostock bezeichnete er als „die schlimmsten rassistischen Übergriffe in Deutschland bis dahin“. Bis heute entsetze ihn, dass der Rechtsstaat, der die Pflicht hatte, die Menschen zu schützen, die Bedrohten alleingelassen habe. „Was in Rostock geschah, war eine Schande für unser Land.“
Steinmeier erinnerte auch an das damalige gesellschaftliche Klima, in dem rechtsradikale Parteien im Aufwind gelegen hätten. „Die Rhetorik auch der Parteien im demokratischen Spektrum war Anfang der 90er-Jahre ressentimentgeladen“, sagte er. Als Konsequenz forderte er zu erkennen, dass Worte Waffen sein könnten. „Es gilt also, verbal abzurüsten“, sagte Steinmeier und verwies auf kontroverse Debatten in sozialen Netzwerken. Er forderte den Verzicht auf Hetze und Gewalt in Auseinandersetzungen, und denjenigen Schutz zu bieten, die potenziell Opfer sind.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig rief dazu auf, für die Demokratie einzustehen. Demokratie brauche sozialen Zusammenhalt, Solidarität, eine Absicherung gegen Krisen und Schicksalsfälle. „Keine Gewalt. Kein Rassismus. Keine Ausgrenzung von Menschen, die anders aussehen, anders leben oder woanders herkommen“, mahnte die SPD-Politikerin.
Die evangelische Nordkirche hatte zuvor in Rostock ihre Info- und Aktions-Bustour „Menschenrechte auf der Flucht“ gestartet, die bis zum 30. September durch zahlreiche Orte führen soll. Bischof Tilman Jeremias (Greifswald) sagte, dass das Thema Flucht und Menschrechte gegenwärtig virulent sei wie nie zuvor. „Wir leben in der Festung Europa. Die Missachtung von Menschenrechten ist auch in unserem Land regelmäßig vor allem im Umgang mit Geflüchteten zu beklagen.“
Unterdessen teilte das Polizeipräsidium Rostock mit, dass es vormittags in Rostock am Rande von Dreharbeiten zu einem Polizeieinsatz kam. Während der Aufnahmen soll ein 13-jähriger Rostocker mit einem Fahrrad hinter dem Reporter in die Aufzeichnung hinein gefahren sein und dabei den rechten Arm gehoben haben. Die Journalisten hätten umgehend die Polizei informiert, die das Videomaterial sicherte und den Staatsschutz informierte. Es werde wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisatoren ermittelt.
Die Rostocker Polizeipräsidentin Anja Hamann sagte: „Ich bedaure diesen beschämenden Vorfall außerordentlich, auch wenn es sich hierbei um ein nicht strafmündiges Kind handelt. Mögliche Hintergründe der Tathandlung sind Bestandteil der weiteren Ermittlungen.“