Koran-Verteiler: "Ich schwatze hier niemanden etwas auf"

Franziska Kraufmann dpa
Manch ein "Kunde" nahm gleich einen ganzen Stapel Korane für den Jugendkreis mit, andere Passanten waren skeptischer.
Koran-Verteiler: "Ich schwatze hier niemanden etwas auf"
Salafisten verschenken Koran an "Ungläubige"
Bundesweit verschenken Salafisten deutschsprachige Korane an die Bevölkerung. In Hannover setzen eine rechtspopulistische Partei und fromme Christen die Bibel und das Grundgesetz dagegen. Die Passanten reagieren mit Neugier und Distanz.
14.04.2012
epd
Thomas Paterjey

Am Fuße des Schillerdenkmals in der hannoverschen Innenstadt herrscht an diesem Samstag Gedränge. Kamerateams und Reporter stehen dicht vor einem Stand, an dem kostenlos Koran-Exemplare verteilt werden. Polizisten patrouillieren, zahlreiche ältere Zuschauer beobachten das Treiben aus einiger Entfernung. Immer wieder wagen sich Interessierte an den kleinen Stand vor, an dem Mitglieder einer als radikalislamisch geltenden Gruppe von Salafisten das heilige Buch der Muslime verschenken. Die Bevölkerung in Deutschland solle sich selbst ein Bild vom Glauben der Muslime machen, sagen sie.

Seit Tagen wird über die Aktion öffentlich diskutiert. Niedersachsens Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU) kritisierte die Verteilung des Korans in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Samstagausgabe): "Es muss klar sein, dass sich jeder Mensch in Deutschland unabhängig von seiner Herkunft oder seines Glaubens an die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu halten hat", sagt die Muslima.

"Ich schwatze hier niemanden etwas auf"

Unter den Schaulustigen ist Klaus P. (62). Er selbst will sich keinen Koran mitnehmen. "Ich vermute aber, dass einige das Ding lesen werden." Teilen könne er die Positionen der Islamisten nicht. Vor allem stört er sich am Frauenbild der vom Verfassungsschutz überwachten Gruppe. Sie propagierten eine Gesellschaft "wie im Mittelalter".

Der Begriff "Salafismus" kommt aus dem Arabischen und bedeutet "die frommen Altvorderen" (as-salaf as salih). Salafisten predigen einen Islam, der sich eng am Wortlaut des Korans und den Überlieferungen aus dem Leben des Propheten (Sunna) sowie seiner frühen frommen Gefährten orientiert. Der Salafismus ist geprägt von stark intoleranten Zügen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften. Salafisten verstehen sich als die einzig wahre Gemeinschaft der Gläubigen. Die salafistische Glaubenspraxis umfasst auch Kleidungsvorschriften und eine spezielle Zahnputztechnik. Viele Salafisten tragen weite Gewänder, lange Bärte und Kopfbedeckungen. Der Salafismus bietet seinen Anhängern ein Schwarz-Weiß-Werteschema an. Demokratie oder Gleichberechtigung werden als "unislamisch" abgelehnt. In Deutschland werden die Anhänger des Salafismus heute auf 3.000 bis 5.000 geschätzt. Einige Gruppierungen werden vom Verfassungsschutz beobachtet.

Werner Meyer gewinnt dagegen der Aktion der Salafisten Respekt ab. Der 70-Jährige ist jüdischen Glaubens und freut sich, wenn die großen Weltreligionen miteinander ins Gespräch kommen. Nur durch Dialog könne man einander respektieren. Gegen die Koranverteilung hat er nichts einzuwenden, sagt er: Er akzeptiere es auch, dass die Zeugen Jehovas oder Scientology offensiv für ihren Glauben werben.

Ohne viele Worte

Unterdessen gehen immer mehr Koran-Exemplare über den Tresen. Einer der Verteiler ist Dennis Radkamp. Er ist Konvertit und seit zwei Jahren praktizierender Muslim. Unablässig stapelt er die Bücher auf dem Tisch, gibt sie Interessierten in die Hand. Groß ins Gespräch kommt er mit ihnen nicht. Das wolle er auch nicht, sagt er: "Ich schwatze hier niemanden etwas auf."

Rund 100 Meter entfernt stehen zwei weitere Stände: Seite an Seite informieren die islamkritische Partei "Die Hannoveraner" und die christliche Initiative "Bürger für Dialog und Wahrheit". Letztere verteilt Bibeln und Grundgesetze. Bewusst wolle man der Aktion der Salafisten etwas entgegen setzen, heißt es. Niemand ist hier bereit, seinen vollständigen Namen zu nennen. Zu groß sei die Angst vor Übergriffen oder vor Anfeindungen, sagt eine 45-jährige Frau.

"Wir wollen den Koran in unserem Jugendkreis lesen"

Gleich 20 deutschsprachige Korane trägt Friedrich Neupert davon. Der 22-Jährige ist in der pietistisch-geprägten Landeskirchlichen Gemeinschaft aktiv. "Wir wollen den Koran in unserem Jugendkreis lesen", erläutert er. Insbesondere Stellen, in denen es um den Heiligen Krieg geht, wolle die Gruppe intensiv studieren. Das der Koran von einer besonders radikalen, islamistischen Gruppe verteilt wird, akzeptiert er: "Die Verteilung ist legitim, hier kann Deutschland auch Vorbild für islamisch-geprägte Länder sein."

Die Lage in der Innenstadt bleibt unterdessen friedlich und ruhig. Die Polizei rechnete in Hannover nicht mit Auseinandersetzungen. Ein Mann der rechtspopulistischen "Hannoveraner" läuft dicht am Stand der Koranverteiler entlang und drückt Passanten seine Flyer in die Hand. Die Salafisten lassen sich davon nicht beeindrucken.