Berlin (epd). Als Ausgleich für die neue Gasbeschaffungsumlage will die Bundesregierung die Mehrwertsteuer auf den Gasverbrauch reduzieren. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Donnerstag in Berlin, zeitlich befristet werde dafür der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent gelten, und zwar so lange, wie diese Umlage erhoben werde.
Die Umlage in Höhe von zunächst rund 2,4 Cent pro Kilowattstunde wird ab Oktober fällig und soll bis Ende März 2024 gelten. Damit können Gasversorger den Großteil der Kosten an ihre Kunden weitergeben, die ihnen entstehen, weil sie ausbleibende Lieferungen aus Russland mit deutlich teurerem Gas ersetzen müssen.
Die Lieferung von Gas unterliegt eigentlich dem regulären Umsatzsteuersatz von 19 Prozent. Laut Scholz werden mit der nun getroffenen Entscheidung einer reduzierten Mehrwertsteuer auf den Verbrauch Gaskunden „deutlich stärker“ entlastet, als Mehrbelastung durch die Umlage entsteht. „Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie diese Senkung eins zu eins weitergeben“, betonte der Kanzler.
Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach ebenfalls von einer „spürbaren Entlastung“ der Verbraucherinnen und Verbraucher. „Wir gehen damit deutlich über eine Kompensation der Gasumlage hinaus“, sagte er der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Freitag). „Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ist ein befristeter Rabatt für die Zeit der Krise“, fügte Lindner hinzu. „Er stellt sicher, dass der Staat nicht Profiteur der hohen Gaspreise wird.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärte: „Es war immer klar: Wir wollen nicht, dass die Menschen noch zusätzlich durch die Mehrwertsteuer auf die Gas-Umlagen belastet werden.“ Eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer „kompensiert auch andere Kosten, die über höhere Umlagen anfallen“.
Die für das deutsche Marktgebiet verantwortliche Gesellschaft Trading Hub Europe hatte am Vormittag weitere Entgelte und Umlagen veröffentlicht, die ab 1. Oktober gelten sollen, darunter eine neue Gasspeicherumlage, um die vor dem Winter notwendige Befüllung der Speicher zu bezahlen. Was hiervon von den Versorgern an die Kunden weitergegeben wird, war zunächst unklar.
Die Union forderte Tempo bei der Mehrwertsteuersenkung. Die finanzpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Antje Tillmann (CDU), sagte der „Rheinischen Post“: „Als Unionsfraktion stehen wir für eine schnellstmögliche Umsetzung bereit.“ Zugleich betonte die CDU-Politikerin, dass die Regierung einen Vorschlag der Union aufgreife, der sozial ausgewogen sei, weil er sich am Verbrauch ausrichte. „Typischerweise verbringen junge Familien mit kleinen Kindern, Arbeitssuchende, Studenten oder alleinstehende Rentner mehr Zeit zu Hause und heizen, als dies berufstätige Paare ohne Kinder tun.“
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hält die Absenkung der Mehrwertsteuer für nicht ausreichend. Es sei „letztlich nicht mehr als ein Trostpflaster für die Gasumlage“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er schlug einen Gaspreisdeckel mit einem kostengünstigen Grundkontingent für die Gaskunden vor sowie ein „Wintergeld von 1.500 Euro pro Haushalt und 600 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied“.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erklärte, „endlich greift die Bundesregierung eine Forderung auf, welche die AfD-Fraktion seit vielen Monaten vehement stellt“. Es sei aber ein klassischer Fall von „zu wenig, zu spät“.
Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge kritisierte die Maßnahme gänzlich. Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte er, wenn man eine Verbrauchssteuer pauschal senke, profitiere jener Bevölkerungsteil am meisten, der viel verbrauche. Wer eine große Villa mit Gas heize, müsse erheblich weniger bezahlen. Für eine arme Familie falle die Entlastung in ihrer kleinen Etagenwohnung sehr viel geringer aus.