Berlin (epd). Knapp ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban stecken nach Angaben von Helfern noch immer mehrere hundert einstige Ortskräfte der Bundeswehr in Afghanistan fest und fürchten um ihr Leben. „Auf meiner Warteliste stehen Hunderte Menschen, die zwar eine Aufnahmezusage für Deutschland haben, aber keinen afghanischen Reisepass“, sagte Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Sie halten sich versteckt und fragen sich, wie lange sie diese Situation noch aushalten müssen.“ Mehr als 17.500 ehemalige Helfer der Bundeswehr und ihre Familienangehörigen konnten derweil inzwischen nach Deutschland einreisen.
Ende Juni 2021 verließen nach einem Nato-Beschluss die letzten deutschen Streitkräfte das Land. Die Taliban eroberten am 15. August Kabul und übernahmen die Macht. Mitte August wurde die Bundeswehr wieder in Afghanistan eingesetzt, als mehr als 20 Länder am Flughafen Kabul eine Luftbrücke einrichteten, um ihre Staatsangehörigen sowie schutzbedürftige Afghaninnen und Afghanen aus dem Land zu bringen. Viele afghanische Ortskräfte, die für die Bundeswehr und andere deutsche Institutionen gearbeitet hatten, wurden zurückgelassen.
Nekzai warnte, dass die radikal-islamischen Taliban die Ortskräfte suchten, weil sie in ihren Augen für „Ungläubige“ tätig gewesen seien. „Wenn sie gefunden werden, haben sie keine Chance auf Leben mehr.“
Das Patenschaftsnetzwerk unterstützt die ehemaligen lokalen Helfer der Deutschen. Nekzai, der einst selbst in Afghanistan Ortskraft und Übersetzer im Dienst der Bundeswehr war, hält den Kontakt zu seinen Kollegen. Er erläuterte, dass die Taliban ohne Pass niemanden ausreisen lassen. Auf dem Schwarzmarkt koste das Dokument fast 800 Dollar pro Person - für viele unbezahlbar. Immerhin 335 Menschen habe das Netzwerk dank privater Spenden retten können - über den Landweg erst in den Iran und schließlich nach Deutschland.
Insgesamt sind inzwischen 17.556 ehemalige Ortskräfte und ihre Familienangehörigen in Deutschland eingereist, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) dem epd bestätigte. Dabei gebe es Aufnahmezusagen für 23.614 frühere afghanische Helfer sowie ihre Familien. Mehr als 6.000 Menschen warten demnach noch auf ihre Einreise. Zunächst hatte die „Welt am Sonntag“ darüber berichtet.
Die nordrhein-westfälische Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul (Grüne), forderte großzügigere und schnellere Hilfen. „Ich wünsche mir vom Bund, dass das Aufnahmeprogramm zügig umgesetzt wird“, sagte sie der „Welt am Sonntag“.
Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk hofft derweil, dass künftig auch Hunderte Afghanen, die vor 2013 Ortskräfte der Bundeswehr waren, eine Aufnahme in Deutschland beantragen können. Die geltenden Regelungen lassen dies nicht zu. Dabei seien auch diese Menschen in Gefahr. Viele seien aus den nördlichen Regionen von Kundus, Masar-i-Sharif oder Faisabad - wo die Bundeswehr stationiert war - nach Kabul geflohen, um nicht gefunden zu werden. In ihren Heimatstädten seien manche von Nachbarn an die Taliban verraten worden. „Ich habe mit Kollegen gesprochen, die sagten: Wir sind jetzt in Kabul und wissen nicht, wo wir schlafen können.“ Zu vielen habe er auch den Kontakt verloren. „Einige benutzen kein Handy mehr, aus Angst, erwischt zu werden.“