Gütersloh (epd). Für eine flächendeckende Umsetzung der Ganztagsbetreuung bis 2030 fehlen nach Prognosen der Bertelsmann Stiftung mehr als 100.000 Fachkräfte. Die ostdeutschen Länder sind laut dem am Dienstag von der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh veröffentlichten „Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule 2022“ personell besser ausgestattet als die westdeutschen Länder. Doch auch hier sieht die Stiftung Handlungsbedarf. Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnte Kraftanstrengungen gegen den drohenden Fachkräftemangel an.
In westdeutschen Ländern würden rund 76.000 Fachkräfte fehlen, wenn bis Ende des Jahrzehnts für jedes Kind ein Platz mit einer Förderung von 40 Wochenstunden vorhanden sein soll, erklärte die Bertelsmann Stiftung. In den ostdeutschen Bundesländern könne zwar bis Ende des Jahrzehnts jedem Kind ein Platz angeboten werden. Die Stiftung empfiehlt jedoch, über den Rechtsanspruch hinaus auch die ostdeutschen Schulen und Horte mit mehr Personal auszustatten, um einen besseren Personalschlüssel zu erreichen. Dafür wären zusätzlich 26.000 Fachkräfte erforderlich.
Der zusätzliche Fachkräftebedarf würde niedriger ausfallen, wenn 2030 nicht alle Kinder ein Ganztagsangebot nutzten, hieß es. Wenn in Westdeutschland die kürzere Übermittagsbetreuung in Anspruch genommen werden würde, würde die Personallücke noch geringer werden. Im günstigsten Fall stünden jedoch immer noch bis zu doppelt so viel nötige Stellen den laut Prognose bis zu fast 37.000 neuen möglichen Mitarbeitenden entgegen.
Die Umsetzung des Rechtsanspruches lasse sich nur mit einem deutlich erhöhten Angebot an Fachkräften bewältigen, erklärte die Direktorin im Programm „Bildung und Next Generation“ der Bertelsmann Stiftung, Anette Stein. Daher müssten die Bundesländer gemeinsam mit allen Verantwortlichen schon jetzt differenzierte Maßnahmen ergreifen, um dem steigenden Personalmangel in Grundschulen und Horten vorzubeugen.
Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnte, beim Ausbau der Betreuungsplätze nicht allein auf Quantität, sondern auf eine Qualitätssicherung setzen. „Gute Bildung im Ganztag muss kindgerecht gestaltet und konsequent an den in der UN-Kinderrechtskonvention normierten Kinderrechten ausgerichtet sein“, erklärte der Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann, in Berlin. Dazu brauche es gesetzliche Qualitätsstandards, um eine Umsetzung dieser Prämissen unabhängig vom Wohnort der Kinder zu garantieren.
Die ostdeutschen Bundesländer erfüllen laut Stiftung für die Mehrheit der Grundschulkinder bereits den Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung: Durchschnittlich 83 Prozent nutzen ein Ganztagsangebot und 3,5 Prozent ein Übermittagsangebot, das zwischen 14 Uhr und 15 Uhr zur Verfügung steht. In den westdeutschen Bundesländern liege die Quote im Schnitt lediglich bei 47 Prozent. Ein Übermittagsangebot nähmen dort 18 Prozent der Kinder im Grundschulalter wahr.
Der Rechtsanspruch auf ganztägige Förderung für Grundschulkinder wurde 2021 im Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) geregelt. Dieser umfasst 40 Wochenstunden inklusive Unterricht. Er gilt für Kinder von der 1. bis zur 4. Schulklasse und wird gestaffelt nach der Klassenstufe eingeführt. Ab dem Schuljahr 2026/2027 greift er bei Schülern der 1. Klasse, ab 2029/2030 bei allen Grundschulklassen.
Grundlage für den „Fachkräfte-Radar“ sind den Angaben zufolge Daten der Statistischen Bundes- und Länderämter (Stichtag 1. März 2021), der Kultusministerkonferenz sowie weitere amtliche Statistiken. Die Berechnungen führte die „Economix Research & Consulting“ im Auftrag der Stiftung durch.