Münster (epd). Nach Veröffentlichung einer Studie über sexuellen Missbrauch im Bistum Münster hat Bischof Felix Genn Konsequenzen sowie Reformen angekündigt und Fehler eingeräumt. „Insbesondere war ich in den Anfangsjahren als Bischof von Münster bei manchen Auflagen, die ich Beschuldigten gemacht habe, zu milde und habe nicht hart genug durchgegriffen“, sagte Genn am Freitag. In einzelnen Fällen seien die Auflagen zudem nicht hinreichend kontrolliert worden. Auch habe er Pfarreien nicht rechtzeitig oder hinreichend über Missbrauchstäter informiert, die bei ihnen als Priester eingesetzt worden seien.
Einen Rücktritt schloss Genn aus. Er glaube nicht, dass er sexuellen Missbrauch vertuscht und die Interessen der Institution über die Sorge der Betroffenen gestellt habe.
Als nach außen hin sichtbares Zeichen der Veränderung wurde schon der Zugang zur Bischofsgruft im St.-Paulus-Dom gesperrt. Dort liegen drei Amtsvorgänger Genns begraben. „Meine verstorbenen Amtsvorgänger Reinhard Lettmann, Heinrich Tenhumberg und Michael Keller haben im Umgang mit sexuellem Missbrauch schwere Fehler gemacht“, sagte Genn. Er werde die „Toten ruhen lassen, die Wahrheit muss aber ans Licht“. Wie dies genau erfolge und was dafür eine angemessene Form sei, solle mit den Betroffenen abgesprochen werden.
Genn kündigte für sein Bistum auch strukturelle Konsequenzen an. „Ich möchte Macht abgeben und zugleich meine Rolle schärfen“, sagte er. „Als Bischof bin ich Seelsorger und 'Mitbruder', zugleich aber auch Vorgesetzter und Richter. Das empfinde ich als problematisch.“ Er habe deshalb den Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke gebeten, die Einrichtung einer vorübergehenden kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bistum Münster zu prüfen, solange es noch keine Festlegungen hierzu aus Rom und auf Ebene der katholischen Deutschen Bischofskonferenz gebe.
Er versprach zudem, dass Personalentscheidungen im Bistum Münster in Zukunft transparenter, nachvollziehbarer und partizipativer getroffen würden. Außerdem solle die Einhaltung der Auflagen, die Beschuldigten oder Tätern gemacht wurden, konsequenter kontrolliert werden. Zukünftig bekämen Täter und Beschuldigte einen „Fallmanager“ zugewiesen, zum 1. Januar 2023 solle dazu eine neue Stelle geschaffen werden.
Des Weiteren kündigte Genn eine siebenköpfige Aufarbeitungskommission an. Dieser werde unter anderen der Studienleiter und Historiker Thomas Großbölting angehören. Der Blick solle bei der weiteren Aufarbeitung systematisch auch noch auf den sexuellen Missbrauch in Ordensgemeinschaften, Internaten und anderen kirchlichen Einrichtungen im Bistum Münster gerichtet werden und über den Kreis der Kleriker hinausgehen.
Er habe entschieden, im Bistum Münster keinen Betroffenenbeirat einzurichten, erklärte Genn. Es solle vielmehr eine selbst organisierte, Bistums-unabhängige Betroffenenbeteiligung geben.
Ein unabhängiges Gutachten von Wissenschaftlern der Universität Münster hatte am Montag mindestens 610 Missbrauchsopfer im Bistum Münster zwischen 1945 und 2020 offenbart. Die Kinder und Jugendlichen seien mehrheitlich zwischen zehn und 14 Jahre alt gewesen, ein Viertel von ihnen Mädchen, erklärte das fünfköpfige Wissenschaftlerteam. Die Studie geht von etwa 196 beschuldigten Klerikern aus. Die Dunkelziffer liege wahrscheinlich bis zu fünfmal höher, hieß es.